Leitfaden der Europäischen Zentralbank für Banken zu notleidenden Krediten
Die Struktur des Leitfadens orientiert sich am Verlauf des Prozessmanagements für NPL und umfasst die folgenden Hauptaspekte: NPL-Strategie, Governance und Verfahren für NPL, Stundung, Identifikation von NPL, NPL-Wertberichtigungen und Abschreibungen sowie die Bewertung von Immobiliensicherheiten.
1. Anwendbarkeit des Leitfadens
Der Leitfaden richtet sich grundsätzlich an Kreditinstitute im Sinne von Artikel 4 (1) der EU Richt-linie 575/2013 (CRR) und ist direkt anwendbar auf alle SI, die der direkten Überwachung unter dem Single Supervisory Mechanism („SSM") unterstehen, einschließlich deren internationaler Tochterunternehmen. Da nationale Aufsichtsbehörden gemeinsam mit der EZB in den SSM einbezogen sind und der Leitfaden auch Best Practices beschreibt, kann davon ausgegangen werden, dass der Leitfaden sich auf die Beurteilungsweise nationaler Aufsichtsbehörden in Bezug auf alle Banken auswirken wird. Obwohl der Leitfaden nicht unmittelbar bindend ist, können Abweichungen zu Aufsichtsmaßnahmen führen.
In Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden in sogenannten Joint Supervisory Teams („JTS"), führt die EZB die Aufsicht über die Umsetzung des Leitfadens durch die Banken und orientiert sich dabei am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insofern spielt die Größe des NPL-Portfolios und das Ausmaß der NPL-Problematik der jeweiligen Bank eine entscheidende Rolle. Die Richtlinien zu den Themen „NPL-Strategie" sowie „Governance" und „Verfahren" werden daher überwiegend für Institute mit einem im Vergleich zum europäischen Durchschnitt überdurchschnittlich hohen Anteil an NPL („High NPL Banks") relevant werden.
2. Die wichtigsten Aspekte des Leitfadens
2.1 NPL-Strategie
High NPL Banks sind aufgefordert, binnen eines „hinreichend effektiven Zeitraums" eine Strategie zum Abbau der NPLs zu entwickeln und umzusetzen. Diese Strategie soll die folgenden Schlüsselelemente beinhalten:
- Bewertung des betrieblichen Umfelds, inklusive interner NPL-Kapazitäten und externer Umstände, die Einfluss auf die NPL-Situation nehmen;
- Festlegung von NPL-Zielen, sowohl hinsichtlich betrieblicher Möglichkeiten (qualitativ) als auch avisierter NPL-Verminderungen (quantitativ); der Leitfaden nennt keine spezifischen quantitativen Ziele, jedoch sind die Banken aufgefordert, eine NPL-Strategie zu entwickeln, die z.B. das Outsourcing von NPL-Beständen oder den Verkauf von Portfolios beinhalten kann; die betriebliche Planung muss in Bezug auf zeitgebundene Ziele, Personalausstattung und Resourcenbedarf gewissen Mindeststandards genügen;
- Umsetzung der betrieblichen Planung, inklusive struktureller Veränderungen in der Bank; und
- Einarbeitung der NPL-Strategie in die Leitungsprozesse der Bank, inklusive einer regelmäßigen (mindestens jährlichen) Überprüfung und unabhängigen Überwachung durch interne Risikomanagementeinrichtungen.
Von High NPL Banks wird zusätzlich erwartet, dass sie ihre NPL-Strategie im ersten Quartal jeden Jahres an die JSTs melden.
2.2 Governance und Verfahren für NPL
Neben der Entwicklung einer NPL-Strategie, ruft der Leitfaden das Management eines jeden SI auf, die NPL-Strategie nicht nur entwickeln, sondern auch deren Umsetzung und interne Überprüfung sicherzustellen und (mindestens quartalsweise) etwaige Fortschritte zu beobachten. Durch High NPL Banks sind zudem NPL-Arbeitsgruppen, sogenannte „NPL workout units" zu bilden, die organisatorisch von den verantwortlichen Einheiten für Darlehensvergabe zu trennen sind.
2.3 Stundung
Stundung ist ein wichtiges Mittel zur Reduzierung des Anteils an NPL, denn durch Stundung kann die Wiederherstellung eines nachhaltigen Tilgungsplans erreicht werden. Als Hauptziele der Stundung einer Bank gegenüber säumigen Darlehensnehmern, beispielsweise durch Gewährung tilgungsfreier Zeiträume, benennt die EZB, dass entweder säumige Darlehensnehmer in Zukunft wieder leistungsfähig werden, oder dass die Darlehensnehmer, bei denen Verzug droht, weiterhin leistungsfähig bleiben. Da Stundungen aber zu einer verzerrten Darstellung von Vermögenswerten in der Bilanz führen können und häufig das Problem des Verzugs lediglich hinauszögern, so wenn sie an Darlehensnehmer in finanziellen Schwierigkeiten oder wiederholt in Bezug auf dieselben Risiken gewährt werden, befasst sich der Leitfaden mit Stundungsoptionen und Kriterien zu Unterscheidung tragfähiger und nicht tragfähiger Stundungsmaßnahmen. Die Banken sind angehalten, ihre Rechte durchzusetzen, wenn keine Restrukturierung zur Tilgung des fälligen Betrags erreicht werden kann. Banken sind ebenso angehalten, ihre Stundungsmaßnahmen in Form von standardisierter Information wie in Anhang 7 des Leitfadens beschrieben, gegenüber der Aufsicht offenzulegen.
2.4 Definition von NPL
Die EZB weist zunächst darauf hin, dass der allgemein verwendete Begriff „non-performing loan" bzw. „NPL" auf unterschiedlichen Definitionen beruht. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde hat deshalb eine einheitliche Definition von „non-performing exposure", notleidende Forderungen, formuliert (§ 145, Annex V, Durchführungsverordnung (EU) Nr. 680/2014 der Kommission vom 16. April 2014 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards für die aufsichtlichen Meldungen der Institute). Diese Definition beinhaltet die Merkmale „mehr als 90 Tage überfällig" und/oder „Zahlung unwahrscheinlich". Die EZB regt an, diese Definition zu übernehmen.
2.5 NPL Wertberichtigungen und Abschreibungen
Maßnahmen der Aufsicht, wie beispielsweise Asset Quality Reviews (AQRs) und Stress Tests (STs), haben den Bedarf an einer einheitlichen Wertberichtigungsmethodik und einem angemessenen Niveau der Risikovorsorge aufgezeigt. Daher werden im Leitfaden die Anforderungen an Wertberichtigungsmethoden zu allen Darlehensportfolien dargestellt (insbesondere zu Einzel- und Pauschalwertberichtigungen und Abschreibungen) und auch bezüglich einer zeitnahen Erkennung von Darlehensverlusten im Zusammenhang mit relevanten und anwendbaren Bilanzierungsstandards (mit einem Fokus auf IAS/IFRS und der Wirksamkeit von IFRS 9 in 2018). Zusätzlich werden Hinweise zu Wertberichtigungen und Abschreibungen im Zusammenhang mit einer angemessenen Risikovorsorge gegeben. Auf Verlangen wird von den Banken erwartet, dass sie der Aufsicht zumindest die Daten ihrer jeweiligen Methodik zur Berechnung der Wertberichtigung für NPL zur Verfügung stellen.
2.6 Bewertung von Immobiliensicherheiten
Untersuchungen durch die Aufsicht haben bei der Bewertung von Immobiliensicherheiten durch die Banken Ungenauigkeiten und Unvollständigkeiten aufgezeigt. Die Banken versäumten es oft, die Finanzinformationen der Darlehensnehmer regelmäßig zu überprüfen oder Grundstücksbewertungen zu aktualisieren. Hierdurch wurden frühe Anzeichen eines Wertverfalls der Immobiliensicherheiten nicht erkannt und dadurch auch Wertberichtigungen nur unzureichend vorgenommen. Die EZB empfiehlt deswegen, dass alle Bewertungen durch unabhängige Gutachter durchgeführt werden, die nicht in die Darlehensvergabe integriert sind, kein Interesse an den Immobilienwerten haben und von dem Käufer oder Verkäufer der Immobilie unabhängig sind. Die Bewertungen sollen für Gewerbeimmobilien jährlich und für Wohnimmobilien alle drei Jahre aktualisiert werden. Sollten Anzeichen negativer Veränderungen erkennbar sein, ist die Bewertung in engeren Zeitabständen vorzunehmen.
3. Einschätzung und Ausblick
Der Leitfaden stellt neue Anforderungen hinsichtlich der NPL-Strategie, der NPL-Governance, der Verfahren und der Überwachung. Die Banken, insbesondere High NPL Banks, müssen nunmehr ihre Prozesse und Organisation prüfen, auch mit Blick auf spezielle NPL-Arbeitsgruppen sowie interne Kontroll- und Managementstrukturen mit Frühwarnsystemen.
Trotz des nicht bindenden Charakters des Leitfadens, erwartet die EZB von SIs auf aufsichtsbehördliche Anfrage hin die Erklärung und Begründung von Abweichungen. Zuwiderhandlungen können Aufsichtsmaßnahmen auslösen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die EZB die Reduzierung von NPLs der Europäischen Banken in den Fokus genommen hat und die ihr zur Verfügung stehenden Werkzeuge hierfür einsetzen wird.
Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang SIs und andere Banken den Leitfaden umsetzen werden und welche Konsequenzen die Aufsichtsbehörden im Falle der Nichtbeachtung ergreifen werden.
Wie sich der NPL-Markt im Lichte des neuen Leitfadens, vor allem mit Blick auf die Anforderungen der Wertberichtigung, entwickeln wird, bleibt spannend.
Dr. Christina Griebeler, M.I.C.L.
Rechtsanwältin,
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