Mitbestimmung des Betriebsrats bei Neueinstellungen
(in Zeiten der Corona-Krise)
(in Zeiten der Corona-Krise)
Gesetzliche Ausgangslage
Gemäß §99 Abs.1 BetrVG ist der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern über personelle Maßnahmen (Einstellungen, Ein-/Umgruppierungen, Versetzungen) zu unterrichten und dessen Zustimmung zu der entsprechenden Maßnahme einzuholen.
Der Arbeitgeber kann, wenn dies aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, die personelle Maßnahme vorläufig durchführen, bevor der Betriebsrat sich geäußert, oder wenn er die Zustimmung verweigert hat, §100 Abs.1 BetrVG.
Der Sachverhalt
Die antragstellende Arbeitgeberseite befasst sich mit Dienstleistungen im Bereich von Bestellungen und Lieferungen von Essen von Restaurants an Kunden („Online-Lieferservice"). Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in K über 500 Mitarbeiter, im wesentlichen sogenannte „Rider", die mittels Fahrrad, teilweise auch mittels Mofa oder Pkw, im Stadtgebiet von K Essen ausliefern.
Antragsgegner ist der Betriebsrat für den Betrieb in K .
Die Antragstellerin führt Neueinstellungen regelmäßig dergestalt durch, dass sie auf ihrer Internetseite regelmäßig zu Initiativbewerbungen einlädt. Geeignete Bewerber werden eingestellt, wenn eine Stelle im Liefergebiet frei ist.
Eine förmliche Betriebsratsanhörung erfolgt vor Neueinstellungen regelmäßig nicht. Die Antragstellerin führt lediglich eine Excel-Tabelle hinsichtlich der Neueinstellungen fort, auf die auch der Betriebsrat Zugriff hat. In dieser Liste notiert die Arbeitgeberin auch regelmäßig Fristen hinsichtlich einzelner Neueinstellungen, binnen derer der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern kann.
Aufgrund der hohen Nachfrage im Corona-Lockdown trug die Antragstellerin allein im November 2020 ca. 100 neue Arbeitnehmer in die Excel-Tabelle ein. Der Betriebsrat widersprach den beabsichtigten Neueinstellungen und verwies auf vorhandene Arbeitnehmer, die ihre Stundenkontingente gerne erhöhen würden.
Mit E-Mails vom 24., 25. und 26. November 2020 erklärte die Antragstellerin gegenüber dem Betriebsrat, man beabsichtige arbeitgeberseitig die vorläufige Durchführung der Neueinstellungen aus sachlich begründeten dringenden Erfordernissen. Mit E-Mail vom 27. November 2020 widersprach der Betriebsrat der vorläufigen Durchführung. Daraufhin hat die Antragstellerin am 30. November 2020 das vorliegende Beschlussverfahren anhängig gemacht. Dieses war darauf gerichtet, die Zustimmung des Betriebsrats durch Beschluss ersetzen zu lassen.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht Köln lehnte den Antrag auf Zustimmungsersetzung zwar ab, hielt die vorläufige Einstellung des Personals jedoch für dringend erforderlich.
Das Gewähren einer Einsichtnahmemöglichkeit in eine Excel-Tabelle stelle schon keine „Anhörung" des Betriebsrats dar. Die Antragstellerin habe damit nicht einmal versucht, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Die bei der Antragstellerin offenbar bestehende Vorstellung, dass die Wochenfrist für die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bereits dadurch zu laufen beginne, dass die Antragstellerin ein Datum in die Excel-Tabelle eintrage, bis zu dem der Betriebsrat Stellung zu nehmen habe und dass die Zustimmung dann als erteilt gelte, wenn der Betriebsrat binnen dieser Frist nicht reagiere, sei fernliegend und habe nichts mit der gesetzlichen Konzeption des § 99 BetrVG zu tun.
Damit konnte an sich die Ersetzung der Zustimmung nicht erfolgen, da die fortlaufend aktualisierte Excel-Tabelle mit einzelnen Daten schon nicht die Erfordernisse einer die Anforderungen des § 99 BetrVG erschöpfenden Anhörung erfüllt. Das Gericht ermöglichte die vorläufige Einstellung jedoch nach § 100 BetrVG aus dringenden Gründen – auch ohne vorherige Äußerung des Betriebsrats. Die aktuelle Sondersituation des Corona-Lock-Downs in der Gastronomie begründe ein übergeordnetes gesamtgesellschaftliches Interesse von hohem Gewicht an der vorläufigen Durchführung der streitgegenständlichen personellen Maßnahmen.
Hier sah das Gericht dringenden Einstellungsbedarf aufgrund der Besonderheiten des zweiten Lock-Downs. Dies sei möglich, selbst wenn ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren nicht ansatzmäßig erfolgt sei, auch wenn diese Frage – ob ein solches Verfahren vorausgehen muss – rechtlich auch in der Rechtsprechung umstritten sei.
Das Gericht sah es grundsätzlich als erforderlich an, dass bei einer vorläufigen Einstellung eine Anhörungen vorausgehen müsse. Hier sei aber eine Ausnahme möglich, wenn die Einstellung auch und gerade „übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Interessen von hohem Gewicht diene".
Praxishinweis
Die Entscheidung bietet Aufschluss über formelle Anforderungen an eine Anhörung des Betriebsrats., gerade auch als Voraussetzung für die vorläufige Einstellung nach § 100 BetrVG. Darüber hinaus zeigt sie auch auf, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrates in Krisenzeiten beschränkt sein können, also wenn „gesamtgesellschaftliche Interessen" betroffen seien. Insofern hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts jedoch Ausnahmecharakter.
Artikel als PDF speichern