BAG zur Arbeitszeiterfassung – Entscheidungsgründe veröffentlicht
Kurzer Rückblick – EuGH und BAG zur Arbeitszeiterfassung
Der Beschluss des BAG – wir berichteten in der Septemberausgabe unseres Newsletters – stellte im Nachgang zur EuGH -Entscheidung CCOO (Urt. v. 14. Mai 2019 - C-55/18) fest, dass eine arbeitgeberseitige Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) und nicht, wie allgemein angenommen, aus dem Arbeitszeitgesetz selbst folgt. Dies erstaunte besonders deswegen, weil § 3 Abs. 1 Nr. 2 lediglich besagt, dass der Arbeitgeber für eine „geeignete Organisation zu sorgen hat“, die Gesundheit wie Sicherheit der Mitarbeiter zu schützen. Aber was heißt das genau für Arbeitgeber und Betriebsrat – und was passiert, wenn dem nicht Folge geleistet wird? Das wird durch die kürzlich publizierten Gründe des Beschlusses etwas deutlicher, auch wenn das BAG den Gesetzgeber auf seine Pflicht hinweist, die Erfassung von Arbeitszeit gesetzlich zu konkretisieren. Wann hiermit zu rechnen ist, ist nicht absehbar, auch wenn das Bundesarbeitsministerium für das 1. Quartal 2023 einen Entwurf in Aussicht stellt. Berücksichtigt man, dass das Thema Arbeitszeiterfassung bereits aufgrund des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 auf der Agenda der Legislative stehen sollte, ohne bisher jegliche Gestalt angenommen zu haben, so stellt sich die Frage, warum es nun schneller gehen soll. Dies gilt auch deswegen, weil das Thema rechtlich in seiner Ausformung Gegenstand politischer Kontroversen sein wird. Hier prallen natürlich Interessen gewerkschaftsnaher Kreise und insbesondere die von Mittelstand und freien Berufen (Stichwort „Bürokratisierung“) aufeinander.
Zeiterfassung – aber wie und für wen?
Deutlich gemacht hat die Entscheidung des BAG, dass es dem Arbeitgeber im Grunde frei steht, die Form der Arbeitszeiterfassung zu wählen. Bisher sind hier keine gesetzlichen Vorgaben formuliert. Es muss sich den Vorgaben des EuGH nach um „objektives, verlässliches und zugängliches“ System handeln, was angesichts der nationalen Regelung, die den Arbeitgeber verpflichtet, für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und die dafür „erforderlichen Mittel“ bereitzuhalten, einen weiten Gestaltungsspielraum lässt. Bei der Auswahl eines geeigneten Systems hat der Arbeitgeber neben den Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer die Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere seine Größe – zu berücksichtigen. Es kann also ein elektronisches System ebenso wie Stift und Papier zum Einsatz kommen. Dies muss auch nicht einheitlich für alle Mitarbeitenden gelten, sondern kann unterschiedlich ausfallen, je nach den Umständen des Einzelfalles. Aufzuzeichnen sind Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Pausen und Überstunden.
Die Pflicht, wie das BAG sie aus der Generalklausel des § 3 ArbSchG herleitet, gilt für alle Mitarbeitenden eines Unternehmens gleichermaßen, also auch für leitende Angestellte, da das Gesetz anders als das Arbeitszeitgesetz keine Ausnahme kennt. Hier hat das BAG aber darauf hingewiesen, dass „besondere Tätigkeitsbereiche“ in der Ausgestaltung berücksichtigt werden können.
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats
Ausgangspunkt der Entscheidung war, anders als man vermuten könnte, nicht die Ausgestaltung der Zeiterfassung – hier hat das BAG nur die Chance genutzt, seine Position zu erläutern – sondern die Frage, ob der Betriebsrat ein Initiativrecht hat, die Einführung eines Systems der elektronischen Zeiterfassung im Rahmen der zwingenden Mitbestimmung durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu verlangen. Seit der Bekanntgabe der Entscheidung war bekannt, dass dem Betriebsrat nach Ansicht des BAG kein solches Initiativrecht zusteht. Grund ist, dass der Arbeitgeber aufgrund der vom BAG vorgenommenen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG schon aufgrund Gesetzes zur Einführung eines Zeiterfassungssystems verpflichtet ist. Die konkrete Ausgestaltung der Zeiterfassung darf der Betriebsrat aber mitbestimmen. Überrascht hat die Herleitung dieses Rechts in den Entscheidungsgründen des BAG, das § 87 Abs. 1 Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) heranzieht. Hiernach darf der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitbestimmen, die der Arbeitgeber aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Gestaltung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben.
Überraschend ist die Begründung deshalb, weil der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung auf § 87 Abs.1 Nr. 6 BetrVG (technische Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen) gestützt hatte. Das würde aber zu einer unzulässigen Einschränkung des Arbeitgebers auf ein elektronisches System zur Arbeitszeiterfassung führen, wie das BAG urteilte. Daher hat das BAG dem Betriebsrat, trotz bestehenden Mitbestimmungsrechtes, im Ergebnis auf Basis der zu verhandelnden Antrags bezogen auf ein „elektronisches Zeiterfassungssystem“ nicht Recht gegeben.
Bedeutung für die Praxis
Die Frage stellt sich, ob nun unmittelbar Handlungsbedarf besteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beschluss Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats betrifft. In vielen Betrieben – gerade in Produktion und Verwaltung – dürfte es bereits Systeme hierfür geben. Ferner kennt das ArbSchG für einen Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG keine Sanktionen. Das BAG weist darauf hin, dass das System flexibel gestaltet werden kann: elektronisch, schriftlich oder auch die Pflicht zur Erfassung auf die Mitarbeiter delegiert werden kann. Denkbar ist, wie bereits im September-Newsletter berichtet, dass Arbeitsgerichte möglicherweise an der Beweislast des Arbeitnehmers für geleistete Überstunden anknüpfen. In Betracht kommen etwa Beweiserleichterungen für die Arbeitnehmer bzgl. des „Obs“ geleisteter Überstunden, wenn Arbeitgeber kein Arbeitszeiterfassungssystem anbieten.
Im Übrigen ist hier auf den Gesetzgeber zu warten. Auch wenn die inhaltliche Ausgestaltung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hier noch nicht absehbar ist, wird dies eine Frage der Zeit sein. Arbeitgebern sei angeraten, sich auf die Einführung eines Systems vorzubereiten, sofern noch nicht geschehen. Insbesondere sollten Vorüberlegungen die Fragen des Home Offices und „Vertrauensarbeitszeit“ umfassen. Rechtspolitisch wird die Frage sein, was für „leitende Angestellte“ gilt – und wer „leitender Angestellter“ in diesem Sinne ist. Alleine ein sechsstelliges Jahreseinkommen reicht dafür in der Regel nicht.
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