Biometrische Daten im Arbeitsverhältnis: Arbeitszeiterfassung per Fingerabdruck?
ArbG Berlin: Keine Arbeitszeiterfassung per Fingerabdruck ohne die wirksam erteilte Einwilligung des Arbeitnehmers.
Mit seinem Urteil vom 16. Oktober 2019 (Az. Ca 5451/19) hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin klargestellt, dass die Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber mittels Fingerprints im Einzelfall bei fehlender Einwilligung des Arbeitnehmers wegen fehlender „Erforderlichkeit" im Sinne des § 26 Abs. 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) unzulässig ist.
Das Gericht urteilte, dass die Zeiterfassung mithilfe des Fingerprints im konkreten Fall gegen das Datenschutzrecht verstößt. Deshalb sei der Arbeitnehmer nicht zur Nutzung des Zeiterfassungssystems verpflichtet und die seitens des Arbeitgebers erteilten Abmahnungen wegen der Nutzungsverweigerung aus der Personalakte zu entfernen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit von zwei Abmahnungen durch den Arbeitgeber. Diese hatte der klagende Arbeitnehmer erhalten, weil er sich weigerte, ein neu bereitgestelltes Zeiterfassungssystem zu nutzen und die Abgabe einer entsprechenden Einwilligungserklärung ablehnte. Der Arbeitnehmer zeichnete bisher und dann auch nach Einführung des neuen Systems handschriftlich seine Arbeitszeit auf. Bei diesen Aufzeichnungen gab es bezüglich der Richtigkeit niemals Zweifelsfälle.
Der Arbeitgeber führte im August 2018 ein elektronisches Zeiterfassungssystem ein, bei welchem sich der Mitarbeiter durch Auflegen des Fingers ab- und anmeldet und somit seine Arbeitszeit erfasst. Zu diesem Zweck wurden von allen Arbeitnehmern sogenannte Minutien – dies sind individuelle, nicht vererbbare Fingerlinienverzweigungen – mithilfe eines speziellen Algorithmus extrahiert. Dieser Datensatz wird in einem Zeiterfassungsterminal gespeichert und zum Abgleich des Fingerabdrucks des jeweiligen Arbeitnehmers bei der An- und Abmeldung im Betrieb verwendet. Der Fingerabdruck der Arbeitnehmer wird dabei nicht gespeichert und kann aus dem gespeicherten Minutiendatensatz auch nicht generiert werden.
Rechtliche Einordnung
Das ArbG Berlin stellte zunächst fest, dass es sich bei dem zu erfassenden Minutiendatensatz der Mitarbeiter um biometrische Daten nach Art. 9 Abs. 1 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) handelt. Dieser Art von personenbezogenen Daten gehören einer besonderen Kategorie an. Sie sind besonders schützenswert, weshalb bei der Verarbeitung solcher Daten strengere Anforderungen gelten, als es bei anderen personenbezogenen Daten (wie etwas Adresse oder Name) der Fall ist. Art. 9 DSGVO enthält sogenannte Erlaubnistatbestände, wodurch die Verarbeitung der Daten zulässig ist. Im vorliegenden Fall lag aber weder ein solcher Erlaubnistatbestand noch eine Einwilligung seitens des klagenden Arbeitnehmers vor.
Im Bereich von Arbeitsverhältnissen regelt § 26 Abs. 3 BDSG eine zusätzliche gesetzliche Möglichkeit, wonach Verarbeitung von Daten iSd. Art. 9 DSGVO zulässig ist. Für Zwecke, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, ist die Verarbeitung zulässig, wenn sie zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes „erforderlich" ist. Dabei ist immer abzuwägen, ob nicht das Interesse der betroffenen Person gegenüber der Verarbeitung überwiegt.
Bei der soeben angesprochenen Abwägung ist besonders zu berücksichtigen, dass die Zeiterfassung mittels Fingerabdruck eine erhebliche Beeinträchtigung in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person darstellt. Im vorliegenden Fall entschied das ArbG Berlin, dass von einer Erforderlichkeit für den Einsatz eines solchen Zeiterfassungssystems nicht auszugehen ist. Eine lediglich abstrakte Missbrauchsgefahr, etwa bei Verwendung herkömmlicher Stempelkarten (Stichwort: Mitstempeln für Kollegen), begründet nach Ansicht des Gerichts noch keine Erforderlichkeit für eine Zeiterfassung mittels Fingerabdruck. Mangels konkreter Nachweise und Umstände für eine Missbrauchsgefahr ist diese Art der Zeiterfassung im vorliegenden Fall somit unzulässig.
Fazit
In den Zeiten des digitalen Wandels und angesichts des zu Beginn bereits angesprochenen sogenannten „Stechuhr-Urteils" des EuGH lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dem Urteil, auch wenn es zunächst einmal eine erstinstanzliche Entscheidung ist. Auch wenn die Verwendung der Daten im vorliegenden Fall als unzulässig bewertet wurde, sollte nicht verkannt werden, dass Zeiterfassung mithilfe biometrischer Daten nicht per se gegen Datenschutzrecht verstößt. Vielmehr erfolgt die Entscheidung immer einzelfallbezogen, wobei es darauf ankommt, ob eine Zeiterfassung mittels Fingerprint im konkreten Fall datenschutzrechtlich erforderlich und damit zulässig ist.
Es wird erforderlich sein – und auch zu empfehlen - Einwilligungen der Arbeitnehmer zu dem konkreten System einzuholen. Damit die eingeholten Einwilligungen allerdings wirksam sind, müssen die strengen Anforderungen der Art. 9 Abs. 2 a) DSGVO und § 26 Abs. 3 BDSG beachtet werden. Nachteilig an dieser Lösung ist aber, dass der Arbeitnehmer seine erteilte Einwilligung jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen kann. Es empfiehlt sich somit zunächst zu prüfen, ob ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand für die Verarbeitung greift.
Artikel als PDF speichern
Rafael Hertz
Rechtsanwalt, Partner
Fachanwalt für Arbeitsrecht
T +49 - 69 - 97 40 12 - 14
M +49 - 172 - 661 55 01