Überlaufendes E-Mail Postfach ist keine Rechtfertigung für Nichteinladung eines geeigneten schwerbehinderten Bewerbers
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat unter anderem das Ziel, Benachteiligungen aufgrund einer Behinderung zu verhindern oder zu beseitigen. Benachteiligt ein Arbeitgeber behinderte Menschen ungerechtfertigt im Bewerbungsverfahren, so kann dies nach dem AGG zu Entschädigungsansprüchen seitens des Bewerbers führen. Hierfür genügt es, dass der benachteiligte Bewerber Indizien beweist, die eine ungerechtfertigte Benachteiligung vermuten lassen. Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass keine ungerechtfertigte Benachteiligung erfolgte. Das Bundesarbeitsgericht hat nun in seinem Urteil vom 23. Januar 2020, Az. 8 AZR 484/18, entschieden, dass es hier auf Seiten des Arbeitgebers nicht genügt vorzubringen, dass die Bewerbung wegen eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen nicht in den Geschäftsgang gelangt ist.
Der Sachverhalt
Der Kläger bewarb sich 2015 per Mail auf eine für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln ausgeschriebene Stelle als Quereinsteiger für den Gerichtsvollzieherdienst. Er hatte die Bewerbung mit dem deutlichen Hinweis auf seinen Behinderungsgrad von 30 und seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen versehen. Obwohl er fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war, wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.
Der Kläger verlangte mit seiner Klage vom beklagten Land eine Entschädigung in Höhe von EUR 7.434. Das beklagte Land machte demgegenüber geltend , dass der Kläger nicht wegen der Behinderung benachteiligt worden sei. Die Bewerbung des Klägers sei lediglich aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den befassten Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hatte ihr teilweise stattgegeben und dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von EUR 3.717 zugesprochen. Hiergegen wandte sich das beklagte Land im Wege einer Revision an das Bundesarbeitsgericht.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG bestätigte den Entschädigungsanspruch und wies die Revision des beklagten Landes ab. Das beklagte Land hätte den Kläger, dessen Bewerbung ihm zugegangen war, zum Bewerbungsgespräch einladen müssen. Diese Pflicht ergäbe sich aus § 82 Satz 2 SGB IX alter Fassung, wonach öffentliche Arbeitgeber die Pflicht haben, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich fachlich ungeeignet sind. Die Tatsache allein, dass der Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, verpflichte das beklagte Land jedoch noch nicht zur einer Entschädigung nach dem AGG. Allerdings habe die Nichteinladung die Vermutung begründet, dass der Bewerber wegen seiner Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person benachteiligt wurde. Diese Vermutung konnte das beklagte Land nicht durch sein Vorbringen, die Bewerbung sei nicht in den Geschäftseingang gelangt, widerlegen. Erforderlich wäre vielmehr gewesen, dass trotz des Zugangs eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich gewesen ist. Dies habe das beklagte Land jedoch nicht vorgetragen. Auch die Höhe der Entschädigung beanstandete das BAG nicht.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgericht verdeutlicht, dass sich der öffentliche Arbeitgeber nicht der Verantwortung für das Übersehen einer Bewerbung einer schwerbehinderten Person entziehen kann, indem er sich auf schlechte Ausstattung und Organisation beruft. Bei Empfang und Bearbeitung von Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ist also höchste Sorgfalt angebracht, um sich nicht dem Risiko von Entschädigungsansprüchen auszusetzen. Bemerkenswert an dem Urteil ist zudem, dass das BAG entgegen dem vorhergehendem Urteil des LAG Köln deutlich gemacht hat, dass eine Verletzung der Pflicht, einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht per se zur Entstehung eines Entschädigungsanspruch führt. Der Arbeitgeber kann nach dem Urteil des BAG die Vermutung, dass der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung nicht eingestellt wurde, widerlegen.
Daraus lässt sich ferner entnehmen, dass auch private Arbeitgeber sich sicherlich nicht auf organisatorische Mängel im Bewerbungsprozess berufen können, um das Indiz einer unzulässigen Benachteiligung auszuräumen. Bei Bewerbungen, die deutlich auf eine Schwerbehinderung hinweisen, ist sorgfältig zu verfahren. Im Zweifel sollte der Bewerber eingeladen werden, wenn eine fachliche Eignung nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.
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