BAG: Annahmeverzug des Arbeitgebers nach Vorlage eines negativen PCR-Tests
Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten, die Lebensmittel für den Handel produziert, als Leiter der Nachtreinigung beschäftigt. Das Hygienekonzept der Beklagten sah eine zwingende 14-tägige Quarantäne mit Betretungsverbot des Betriebs nach Rückkehr aus einem vom RKI ausgewiesenen Risikogebiet vor, wobei während dieser Zeit keine Arbeitsvergütung geleistet wurde. Nach der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin galt zu diesem Zeitpunkt nach Einreise aus einem Risikogebiet grundsätzlich eine Quarantänepflicht von 14 Tagen. Diese sollte nicht gelten, sofern ein ärztliches Attest nebst Laborbefund vorlag, der ein negatives Testergebnis eines höchstens 48 Stunden vor Einreise vorgenommenen PCR-Tests auswies und keine Symptome einer COVID-19-Erkrankung aufgetreten sind. Eine solche Ausnahme sah die betriebliche Regelung nicht vor.
Der Kläger befand sich wegen des Todes seines Bruders für vier Tage in der Türkei, welche zum damaligen Zeitpunkt als Risikogebiet ausgewiesen war. Vor seiner Ausreise aus der Türkei sowie bei seiner Einreise nach Deutschland unterzog sich der Kläger einem PCR-Test, der jeweils ein negatives Testresultat auswies. Außerdem wurde dem Kläger ein ärztliches Attest ausgestellt, dass seine Symptomfreiheit bestätigte. Als der Kläger den Betrieb der Beklagten aufsuchte, um seine Arbeit aufzunehmen, verweigerte die Beklagte für die Dauer von 14 Tagen den Zugang zum Betrieb und zahlte keinen Lohn. Der Kläger begehrt mit seiner Klage Vergütung wegen Annahmeverzug.
Das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) sowie das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) gaben der Klage statt, wie auch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 10. August 2022 (Az. 5 AZR 154/22)
Die Entscheidung
Die Beklagte, so das BAG, habe sich mit der Annahme der vom Kläger angebotenen Arbeitsleistung im Annahmeverzug befunden. Das von der Beklagten erteilte Betretungsverbots des Klägers führe nicht zur Leistungsunfähigkeit des Klägers, da die Ursache der Nichterbringung der Arbeitsleistung von der Beklagten selbst gesetzt worden sei. Außerdem habe die Beklagte nicht dargelegt, dass ihr die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar war.
Darüber hinaus sei die Weisung, den Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Lohnfortzahlung fernzubleiben, nach § 106 GewO unbillig und damit unwirksam gewesen. Die Beklagte habe dem Kläger nicht die Möglichkeit eröffnet, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitestgehend auszuschließen. Hierdurch hätte die Beklagte nämlich den erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erreichen und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen können. Das Betretungsverbot der Beklagten gehe somit in unzulässiger Weise über die behördlicherseits angeforderten Schutzmaßnahmen hinaus.
Praxishinweis
Mit dieser Entscheidung hat sich nunmehr auch das höchste deutsche Arbeitsgericht mit Fragen auseinander gesetzt, die auf Umsetzung betrieblich begründeter Hygienekonzepte beruhen. Sollte es nun in den Wintermonaten erneut zur Festsetzung von behördlichen Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie kommen, so wird hierdurch jedenfalls eine Grenze des Eingriffs durch den Arbeitgeber festgesetzt. Um hier noch seitens des Arbeitgebers verschärfte Anforderungen setzen zu können, wird es besonders gravierender Gründe bedürfen, insbesondere wenn damit der Verlust von Vergütungsansprüchen einhergeht.
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