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Bundesarbeitsgericht – Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – Was ist zu tun?


Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) festgestellt, dass die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (im Folgenden „Mitarbeitende“) aufzuzeichnen ist. Aus den am 5. Dezember 2022 vom BAG veröffentlichten Urteilsgründen lassen sich nunmehr erste Erkenntnisse dahingehend gewinnen, wie das BAG diese Verpflichtung versteht und welche Möglichkeiten, damit umzugehen, es sieht.

Im Folgenden möchten wir Sie über die Bedeutung des viel beachteten Beschlusses des BAG informieren. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die genaue Ausgestaltung der Zeiterfassung sowie die damit konkret einhergehenden Rechte und Pflichten einer gesetzgeberischen Umsetzung vorbehalten bleiben. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in Aussicht gestellt, „voraussichtlich im ersten Quartal 2023“ einen „praxistauglichen Vorschlag“ für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz zu machen.

 

1. Was hat das BAG in seiner Entscheidung vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21)festgestellt?

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Beschlussverfahren zwischen einem Betriebsrat und einem Arbeitgeber über das seitens des Betriebsrats geltend gemachte Initiativrecht zur Verhandlung einer Betriebsvereinbarung zur Einführung elektronischer Arbeitszeit entschieden. In diesem Zusammenhang hat es zur Aufzeichnung der Arbeitszeit Ausführungen gemacht. Danach ist die gesamte Arbeitszeit der Mitarbeitenden aufzuzeichnen. Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nummer 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Mitarbeitenden geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Das Initiativrecht des Betriebsrats, eigentlicher Entscheidungsgegenstand, lehnte es in der hier geltend gemachten Form ab.

 

2. Was galt bereits gesetzlich?

Nach derzeitiger Gesetzeslage ist der Arbeitgeber gem. § 16 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) lediglich zur Aufzeichnung der werktäglichen Arbeitszeit, welche die höchstzulässige Tagesarbeitszeit übersteigt sowie der gesamten Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen verpflichtet, also nicht der Regelarbeitszeit. Allerdings hatte der EuGH bereits in einem Urteil von 2019 darauf hingewiesen, dass dies nicht ausreicht, sondern die gesamte Arbeitszeit aufzuzeichnen ist. Diese Grundsätze wiederholt das BAG in seinem Beschluss im Rahmen der Verpflichtungen, die es in § 3 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG begründet sieht.

 

3. Ab wann gilt die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung?

Die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit geht auf eine bestehende gesetzliche Regelung zurück und gilt somit bereits heute.

 

4. Wie ist Arbeitszeit zu erfassen?

Festlegungen zu Form und Inhalt der Arbeitszeitdokumentation sind seitens des Gesetzgebers noch nicht getroffen worden. Um die Einhaltung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten wirksam gewährleisten zu können, muss der Arbeitgeber jedoch dafür Sorge tragen, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit sowie Pausen der Mitarbeitenden erfasst werden. Für die Aufzeichnung verweist das BAG, so lange keine gesetzliche Vorschrift besteht, auf den weiten Rahmen, den der Arbeitgeber hier hat. Dies kann also mittels elektronischer Tools, in Excel Tabellen oder auch handschriftlich erfolgen.

 

5. Kann der Arbeitgeber die Zeiterfassung an Mitarbeitende delegieren?

Der Arbeitgeber kann die Aufzeichnung so wie bislang auch schon delegieren, wobei er für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorgaben des Arbeitsschutzes verantwortlich bleibt. Er muss also prüfen – ggf. durch Stichproben – ob die Mitarbeitenden dem nachkommen.

 

6. Gilt die Pflicht zur Zeiterfassung für alle Mitarbeitenden?

Ob die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch für leitende Angestellte gilt, geht aus dem Beschluss des BAG nicht eindeutig hervor. Mangels einer gesetzlichen Ausnahmeregelung im ArbSchG ist zur Zeit davon auszugehen, dass die Verpflichtung auch für „leitende Angestellte“ zu beachten ist. Das BAG weist aber im Rahmen des Gestaltungsspielraums auch auf eine mögliche abweichende Gestaltung in bestimmten Bereichen hin. Dies mag sogenannte „leitende Angestellte“ betreffen.  wobei zu definieren wäre, wer als „leitender Angestellter“ einzuordnen ist.

 

7. Welche Rechte kommen dem Betriebsrat zu?

Stand heute, solange der Gesetzgeber die Arbeitszeiterfassung noch nicht konkret ausgestaltet hat, hat der Arbeitgeber die Verpflichtung ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, woran dann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, da es sich hier um eine Regelung zum Gesundheitsschutz handelt , anknüpft (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Entscheidet sich der Arbeitgeber für ein elektronisches System zur Zeiterfassung, ist der Betriebsrat bei der Ausgestaltung der technischen Einrichtung miteinzubeziehen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Die Regelung erfolgt dann durch Betriebsvereinbarung, die im Falle der Nichteinigung in der Einigungsstelle festgelegt werden kann.

 

8. Was gilt in einem betriebsratslosen Betrieb?

Hier besteht derzeit kein „gesetzlicher Hebel“ mit dem Mitarbeitende die Einführung und Ausgestaltung „erzwingen“ oder „mitgestalten“ können. Der Arbeitgeber hat auch keinen kollektiven Verhandlungspartner, so dass er eine solche Regelung „selbständig“ einführen kann.

 

9. Bleibt Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich?

Ja. Mit Vertrauensarbeitszeit wird im Allgemeinen ein flexibles Arbeitszeitmodell bezeichnet, bei dem die Mitarbeitenden eigenverantwortlich über die Lage (also Beginn und Ende) der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit entscheiden kann. Eine Dokumentation der Arbeitszeit steht einer solchen Vereinbarung nicht im Wege. Die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitschutzes (insbesondere zur täglichen Höchstarbeitszeit und zu Ruhezeiten) dienen dagegen der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden und sind auch bei Vertrauensarbeitszeit einzuhalten. Vertrauensarbeitszeit unter Beachtung dieser Vorgaben ist daher auch weiterhin möglich. Erforderlich ist hier aber, dass Mitarbeitende  Phasen der Nichtarbeit ebenfalls aufzeichnen.

 

10. Welche Nachteile drohen bei einer Nichterfassung?

Bei Verstößen gegen die Vollerfassung der Arbeitszeit bestehen heute keine unmittelbaren Sanktionsfolgen wie Verhängung von Bußgeld oder Strafen. Hierzu bedarf es gesetzlicher Vorschriften. Derzeit ist die Nichteinführung eines Zeiterfassungssystems also in diesem Sinne sanktionslos.

 

11. Wie sollten Unternehmen jetzt handeln?

Bis der Gesetzgeber die Ausgestaltung der Zeiterfassung konkretisiert, ist es nicht nötig, überstürzt zu handeln. Doch Unternehmen sollten im Angesicht zu erwartender Gesetzgebung aktiv werden, wobei dieser Prozess längere Zeit in Anspruch nehmen kann. Sie sollten sich z.B., sofern das nicht bereits etablierte Praxis ist, mit der Arbeitszeiterfassung beschäftigen. Sie sollten analysieren, wie Ruhe-, Pausen- und Höchstarbeitszeiten sowie Arbeitsverbote an Sonn- und Feiertagen im Unternehmen gelebt werden, auch was bezüglich Arbeitszeiten im Home Office, mobilen Arbeiten bei „leitenden Angestellten“ gelten soll.

 

Bitte zögern Sie nicht uns anzusprechen, sollten Sie  Fragen im Zusammenhang mit diesem komplexen Thema haben. Gerne stehen wir für Sie bereit, sich aus dem Beschluss des BAG ergebende Rechtsfragen zu beantworten und Sie bei entsprechenden Maßnahmen zu unterstützen.

 

Ihr kallan Arbeitsrechts Team