Pendelzeit von 3 ½ Stunden führt zu Unwirksamkeit einer Weisung
Sachverhalt
Der Kläger ist als Lagerarbeiter bei der Beklagten, einem Logistikunternehmen, tätig, und zwar am Firmensitz der Beklagten in Zossen. Er wohnt ca. 6 km entfernt und kann seinen Arbeitsort mit dem Auto in wenigen Minuten erreichen. Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält die folgende Klausel: „Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer entsprechend seinen Leistungen und Fähigkeiten mit einer anderen im Interesse des Arbeitgebers liegenden gleichwertigen Aufgabe betrauen, an einen anderen Ort sowie vorübergehend auch bei einem anderen Konzernunternehmen einsetzen."
In einem anderweitigen Kündigungsrechtsstreit zwischen den Parteien fand eine Güteverhandlung statt. Im Rahmen dieser Güteverhandlung nahm die Beklagte eine zuvor ausgesprochene Kündigung zurück und forderte den Kläger auf, sich am nächsten Tag um 7:00 Uhr früh in ihrer Niederlassung in Dresden zur Arbeit zu melden. Die Niederlassung in Dresden ist von dem Wohnort des Klägers 165 km entfernt. Mit dem Auto kann diese Strecke in 1 Stunde 45 Minuten zurückgelegt werden, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in 4 Stunden 50 Minuten. Im Zeitpunkt der Erteilung der Weisung war der Kläger mangels Führscheins auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.
Der Kläger erschien am nächsten Tag nicht in Dresden, sondern an seinem gewöhnlichen Arbeitsort, zur Arbeit. Daraufhin erhielt er eine Abmahnung und die erneute Anweisung, sich in Dresden zur Arbeit zu melden. Als der Kläger dieser Weisung erneut nicht nachkam, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Potsdam. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben, woraufhin die Beklagte Berufung eingelegt hat.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hatte auch in der zweiten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Erfolg.
Das Gericht entschied, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche beendet wurde. Die Weisung, ab sofort in Dresden zu arbeiten, sei unbillig gewesen, weshalb der Kläger ihr nicht Folge leisten musste. Der Umfang der Weisungsrechte unterliege billigem Ermessen, siehe § 106 GewO.
Dieses habe die Beklagte im vorliegenden Fall missachtet. Es liege nahe, dass die Weisung vor allem der Disziplinierung des Klägers dienen sollte und betrieblich nicht notwendig war. Die Beklagte habe die betriebliche Notwendigkeit nicht ausreichend dargelegt. Die Beklagte habe dem Kläger auch nicht ausreichend Zeit gelassen, seine persönlichen Verhältnisse auf den neuen Arbeitsort einzustellen.
Vor der Erteilung von Weisungen müsse der Arbeitgeber stets die beiderseitigen berechtigten Interessen abwägen und dabei die Umstände des Einzelfalls einbeziehen. Dazu zählen unter anderem die Vermögens- und Einkommensverhältnisse, soziale Lebensverhältnisse, aber auch familiäre Verpflichtungen des Arbeitnehmers.
Fazit
Das Gericht setzt hier auch eine neue, mit bisheriger Rechtsprechung brechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Folgeverpflichtung des Arbeitnehmers bei unbilliger Weisung um (BAG, Urt. v. 18. Oktober 2017, Az. 10 AZR 330/16). Danach hat der Arbeitnehmer nicht die Verpflichtung, unbillige Weisungen zu befolgen, um evt. gleichzeitig die Billigkeit prüfen zu lassen. Spricht der Arbeitgeber deswegen eine Kündigung aus oder kürzt Lohn, so ist in einem solchen Rechtstreit zu klären, ob die Maßnahme berechtigt war. Es ist aber Risiko des Arbeitnehmers, eine solche Einschätzung vorzunehmen, d.h. im Zweifelsfall mag er einer solchen Weisung eher Folge leisten als bei einer klar unbilligen wie in diesem Fall.
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