Bloß (k)eine Hemmung! Vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen hemmen einzelvertragliche Ausschlussfristen.
Mit Urteil vom 20. Juni 2018 (Az. 5 AZR 262/17) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass arbeitsvertragliche Ausschlussfristen, die eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen innerhalb einer bestimmten Frist vorsehen, gehemmt werden, solange die Parteien vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führen.
Sachverhalt
Der Kläger schied am 31. Juli 2015 nach ca. 1,5-jährigen Beschäftigung als technischer Sachbearbeiter bei dem Beklagten aus. Sein Arbeitsvertrag enthielt eine zweistufige Ausschlussklausel, nach der auf der ersten Stufe Ansprüche beider Parteien aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten ab Fälligkeit gegenüber der Gegenseite geltend gemacht werden. Die zweite Stufe sah vor, dass im Falle der Ablehnung des Anspruchs durch die Gegenseite oder einer fehlenden Reaktion dieser innerhalb von zwei Wochen, der Anspruch innerhalb von weiteren drei Monaten, bei Gericht anhängig zu machen ist. Mitte September 2015 forderte der Kläger die Abgeltung von Urlaubstagen sowie Vergütung für angefallene Überstunden. Ende September lehnte der Beklagte die Ansprüche ab, verdeutliche allerdings in dem entsprechenden Schreiben sein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung. Versuche, eine solche Lösung zu finden, blieben jedoch bis Ende November erfolglos.
Der Kläger erhob sodann am 21. Januar 2016 Klage, um seine Ansprüche auf diesem Wege durchzusetzen, obwohl rein rechnerisch die Frist der zweiten Stufe der Ausschlussklausel am 28. Dezember 2015 abgelaufen war. Während das Arbeitsgericht die Klage unter Verweis auf die nicht fristgerechte Geltendmachung der Ansprüche abwies und das Landesarbeitsgericht die Berufung aus selbigem Grund zurückwies, war die Revision vor dem BAG erfolgreich.
Ausschlussfrist durch vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen gewahrt
Bislang war ungeklärt, inwieweit die zivilrechtlichen Vorschriften des Verjährungsrechts auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen entsprechend angewendet werden können. Das BAG hat sich nun damit auseinandergesetzt und entschieden, dass § 203 S.1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs („BGB"), wonach die Verjährung solange gehemmt wird, bis eine der Parteien die Fortsetzung der Verhandlung über den Anspruch oder die diesen begründenden Umstand verweigert, auf eine einzelvertragliche arbeitsrechtliche Ausschlussfrist entsprechende Anwendung findet. Das bedeutet folglich, dass der Lauf der Ausschlussfrist auf der zweiten Stufe während der Dauer der Vergleichsverhandlungen über den jeweiligen Anspruch fortan gehemmt wird.
Dem Gericht zufolge sei Ausschlussfristen und Verjährungsfristen gemein, dass Ansprüche nur innerhalb einer bestimmten Frist verwirklicht werden könnten. Darüber hinaus verfolgen beide Institute das Ziel, für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu sorgen indem den Vertragsparteien eine gewisse Zeit eingeräumt werde, innerhalb der die jeweiligen Anliegen geprüft und besprochen werden und somit voreilige Prozesse vermieden werden könnten. Im Übrigen sei es rechtlich möglich, die an sich „starre", d.h. einseitig nicht verlängerbare, Ausschlussfrist einvernehmlich nach hinten zu schieben, sofern mehr Zeit für eine einvernehmliche Lösungsfindung benötigt werden würde. Vor diesem Hintergrund spräche somit auch nichts dagegen, den Parteien im Zuge einer Hemmung der Ausschlussfrist die benötigte Zeit für Verhandlungen einzuräumen. Eine Benachteiligung des Schuldners, für den grundsätzlich eine Ausschlussfrist eher vorteilhaft sei, sei bei diesem Vorgehen nicht denkbar, da dieser sich schließlich nicht auf vorgerichtliche Verhandlungen einlassen müsse.
Im Übrigen stellte das Gericht klar, dass § 203 S.2 BGB, nach dem die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung eintritt, auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen dagegen keine entsprechende Anwendung finde.
Hinweise für die Praxis
Aufgrund dieser Annahmen des BAG bleiben Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr Zeit für außergerichtliche Vergleichsverhandlungen, diese werden nicht durch starre Handhabung der Ausschlussfrist gehemmt. Ob dies nun positiv oder negativ ist, vermag im Einzelfall zu beurteilen sein. Im Einzelnen könnten sich hinsichtlich des konkreten Beginns der Frist Unsicherheiten ergeben, wenn beide Parteien unterschiedliche Auffassungen dahingehend haben, ob Vergleichsverhandlungen tatsächlich überhaupt vorliegen, noch andauern oder eben nicht. Dem Bundesgerichtshof zufolge ist unter Vergleichsverhandlungen grundsätzlich jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen zu verstehen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Vor diesem Hintergrund sollte eine „Verhandlung" auch schriftlich, z.B. durch Zusammenfassung von Verhandlungsständen, sowie die Ablehnung weiterer Verhandlungen stets dokumentiert werden, um Klarheit zu schaffen und den Lauf der Ausschlussfrist in Gang zu setzen.
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