Multitasking bei der Massenentlassungsanzeige
BAG sorgt für Klarheit: Unterzeichnung von Kündigungen bereits vor der Massenentlassungsanzeige möglich
Mit Urteil vom 13. Juni 2019 (Az. 6 AZR 459/18) hat das Bundesarbeitsgericht („BAG") klargestellt, dass eine Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz („KSchG") auch dann wirksam erstattet werden kann, wenn der Arbeitgeber bereits zum Zeitpunkt der Abgabe der Anzeige fest zur Kündigung entschlossen sei. Dies hatte das LAG Baden – Württemberg in der Vorinstanz in seinem Urteil vom 21. August 2018 (Az. 12 Sa 17/18) noch gänzlich anders bewertet, was für erhebliche Unsicherheit und große praktische Schwierigkeiten gesorgt hatte, bezogen auf die Zeitfolge von Anzeige und Kündigungsschreiben.
Hintergrund
Die Massenentlassungsanzeige des Beklagten, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzschuldnerin zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, ging am 26. Juni 2017 bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben vom selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis von 45 Mitarbeitern inkl. dem des Klägers. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger einen Tag später zu. Im Rahmen seiner Kündigungsschutzklage vertrat der Kläger u.a. die Ansicht, dass eine Massenentlassungsanzeige zwingend vor der Entscheidung, ob Kündigungen tatsächlich vorzunehmen seien, zu erfolgen hätte. Die Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben dürfe deshalb zwingend erst nach Anzeige bei der Agentur für Arbeit geleistet werden. Während das LAG dieser Ansicht folgte, führte die Revision vor dem BAG zum Erfolg des Beklagten.
LAG: Erst Anzeige, dann Kündigungsentscheidung
Wenn die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 S. 1 Ziffer 1-3 KSchG erfüllt sind, ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er die Arbeitnehmer entlässt. „Entlassung" ist hier europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass es auf die Kündigungserklärung des Arbeitgebers ankommt und gerade nicht auf den Zugang des Schreibens beim Arbeitnehmer. Dem LAG zufolge, sei auch unter Verweis auf den Wortlaut des § 17 Abs. 3 KSchG, wonach es heißt, „die Anzeige muss [...] Gründe für die geplanten Entlassungen [...]" enthalten, zu entnehmen, dass die Massenentlassungsanzeige zu einem Zeitpunkt zu erstellen sei, zu dem die Kündigungen bereits geplant, aber über deren Aussprüche noch nicht endgültig entschieden seien. Die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers manifestiere sich nach außen hin in der Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben, sodass eine Kündigung, die am Tag des Eingangs der Anzeige unterschrieben werde, unwirksam sei.
BAG: Anzeigeverfahren dient ausschließlich beschäftigungspolitischen Zwecken
Das BAG sah dies anders und argumentierte mit dem Sinn und Zweck des Anzeigeverfahrens. Dieses Verfahren diene rein beschäftigungspolitischen Zwecken. Die Agentur für Arbeit solle rechtzeitig über eine anstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um mit entsprechenden Vermittlungsbemühungen reagieren zu können. Dies setze voraus, dass feststehe, wie viele und welche Arbeitnehmer entlassen werden sollen. Auf den Entschluss des Arbeitgebers zur Kündigung habe die Agentur dagegen keinen Einfluss. Somit dürfe auch der Kündigungsentschluss vor Erstattung der Anzeige bereits gefasst sein. Die Kündigung dürfe jedoch erst nach Eingang der Anzeige bei der Agentur dem Arbeitnehmer zugehen. Diese Anforderung war in dem zugrundeliegenden Fall gewahrt.
Fazit
Das BAG sorgt mit seiner Entscheidung für erhebliche Erleichterung in der Praxis, stellte die Ent-scheidung des LAGs Arbeitgeber vor große praktische Schwierigkeiten. Erfahrungsgemäß laufen die Vorbereitungen für Kündigungen und Massenentlassungsanzeigen parallel ab. Gerade der Unterschriftenprozess erfordert besonders bei Unternehmen, bei denen keiner alleinvertretungsberechtigt ist, einen besonderen zeitlichen Vorlauf, muss also besonders geplant werden, damit zu einem bestimmten Zeitpunkt alle erforderlichen Unterschriften sowohl bei Kündigung als auch der Massenentlassungsanzeige vorliegen. Diesen ohnehin akribisch durchzuführenden sehr fehleranfälligen Prozess noch zusätzlich dadurch zu erschweren, dass Kündigungsschreiben und Massenentlassungsanzeige getrennte Daten aufweisen sollen, war sowohl praktisch als auch rechtlich nicht haltbar. Solange das Kündigungsschreiben erst nach Erstattung der Anzeige dem Betroffenen zugeht, kann ein solches Schreiben also auch am gleichen Tag der Anzeige gezeichnet werden.
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