Freistellung zur Erzwingung einer Vertragsauflösung
Arbeitnehmer werden häufig im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen freigestellt. Aber inwieweit ist dies überhaupt zulässig? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG) mit Urteil vom 6. Februar 2020 (Az.: 3 SaGa 7 öD/19) und verdeutlichte, dass eine Freistellung zur Erzwingung und Durchführung von Verhandlungen über die Aufhebung eines ungekündigten, ordentlich unkündbaren und langjährig bestehenden Arbeitsverhältnisses rechtsmissbräuchlich und nicht schutzwürdig sein kann, um eine Freistellung zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer hat ein sich aus Art. 12 GG abzuleitendes schutzwürdiges Recht, seine Tätigkeit auszuüben. Darin darf nicht ohne sachliche Rechtfertigung eingegriffen werden.
Sachverhalt
Die Klägerin ist bei der beklagten Klinik seit 2001 beschäftigt, zuletzt als „geschäftsführende Oberärztin". Arbeitsvertraglich schuldet die Klägerin eine Tätigkeit in der Krankenversorgung, in der Wissenschaft und in der Forschung. Sie betreut zahlreiche Doktoranden. Die Tätigkeit in diesen Arbeitsbereichen ist für eine von der Klägerin angestrebte Professur erforderlich. Die Klägerin ist tariflich unkündbar und genießt als Strahlenschutzbeauftragte zusätzlich Sonderkündigungsschutz. 2018 übernahm ein neuer Chefarzt den Bereich und mit zunehmender Zeit kam es zu Spannungen mit der Klägerin. Zudem brachte der neue Chefarzt ein Team von Oberärzten mit, was zu einer Überbesetzung des Bereichs führte. Aufgaben der Klägerin wurden durch das Team zunehmend übernommen. Im Zeitraum von April 2018 bis November 2019 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am Tag der Wiederaufnahme ihrer Arbeit stellte die Klinik die Klägerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung für die Dauer etwaiger Urlaubsansprüche unwiderruflich frei. Sodann sollte die Freistellung aufrechterhalten bleiben, „insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung [...] des Anstellungsverhältnisses". Eine Kündigung wurde nicht ausgesprochen. Dennoch musste die Klägerin sämtliche Schlüssel und Zugangsausweise abgeben. Sämtliche Systemzugänge wurden gesperrt und ihr Nutzerkonto im System der Beklagten wurde gelöscht. Die Klägerin wurde, wie es heißt, gleichsam für die Außenwelt „unsichtbar".
Mit ihrer Klage im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens begehrte die Klägerin eine vertragsgemäße Beschäftigung als „geschäftsführende Oberärztin". Diesem Begehren gab das Arbeitsgericht statt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Entscheidung des LAG
Die Berufung der Klinik blieb erfolglos. Das LAG stellte klar, dass die Klinik nicht dazu befugt sei, den sich aus dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht der Klägerin ergebenden arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch einseitig für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses zu suspendieren. Die Klägerin habe einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung.
Eine Freistellung sei nur gerechtfertigt, wenn schützenswerte Interessen des Arbeitgebers das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwögen. Teaminterne Spannungen seien nicht als solche schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers anzuerkennen. Das Interesse der Klägerin an der Weiterbeschäftigung werde zudem durch die Erlangung der Voraussetzungen für die angestrebte Professur verstärkt. Nach Ansicht des LAG missbrauche die Beklagte die Freistellung zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen. Dabei führen persönliche Unstimmigkeiten nicht zum Entfall des Beschäftigungsanspruchs. Derartige Unstimmigkeiten seien nämlich nicht schutzwürdiger, als der aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitete Beschäftigungsanspruch. Die sofortige Freistellung verbunden mit der Trennung von allen Systemen und EDV-Zugängen, mache die Klägerin für die Außenwelt unsichtbar. Aus der Nichtbeschäftigung folge ein zu befürchtender Reputationsverlust sowie eine absehbare Beeinträchtigung ihrer fachlichen und wissenschaftlichen Tätigkeit. Arbeitnehmer seien nicht verpflichtet, an der Beendigung des eigenen Anstellungsverhältnisses mitzuwirken. Dies dürfe der Arbeitgeber auch nicht durch einseitige Freistellung erzwingen.
Fazit
Das LAG weist – entsprechend gefestigter Rechtsprechung – darauf hin, dass sich aus dem Arbeitsvertrag nicht nur die Pflicht zur Arbeit, sondern auch ein Anspruch darauf ergibt, überhaupt beschäftigt zu werden. Eine Freistellung bedarf schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers, die das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegen. Dass der Vergütungsanspruch – gerade im wissenschaftlichen Umfeld – nicht unbedingt das einzig maßgebliche Interesse des Arbeitnehmers ist, veranschaulicht das aktuelle Urteil eindrucksvoll. Es geht eben nicht nur darum, die Vergütung zu zahlen. Gerade in qualifizierten Berufen ist die Möglichkeit zur Berufsausübung sehr wichtig, da mögliche Erfahrungen nicht gemacht werden können oder die fachliche Entwicklung gehemmt wird. Diese Möglichkeiten sind geschütztes Persönlichkeitsrecht jedes Arbeitnehmers. Insofern kommt es stets auf die Umstände der jeweiligen Situation an. Klassischer Grund für die Freistellungsberechtigung ist, wenn dem Arbeitnehmer gerade Tatbestände aus dem Bereich der Verletzung des Vertrauens des Arbeitgebers vorgeworfen werden. Die Entscheidung hat jedoch noch eine weitere Dimension: Sie setzt dem Weisungsrecht des Arbeitgebers Grenzen und steht damit in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Eine Mitwirkung des Arbeitnehmers an der Beendigung des eigenen Arbeitsverhältnisses ist nicht vom Direktionsrecht gedeckt (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009, Az.: 2 AZR 606/08). Der Arbeitnehmer ist lediglich zur Teilnahme an Gesprächen verpflichtet, die der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsvertrages dienen. Anzumerken bleibt, dass das Urteil nicht zu der Frage Stellung nimmt, was gilt, wenn der Arbeitsvertrag eine sogenannte Freistellungsklausel enthält. Diese sind grundsätzlich möglich und können auch für den Fall vereinbart werden, dass das Arbeitsverhältnis von einer der beiden Seiten gekündigt wurde.
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