Bruchlandung Massenentlassungsanzeige: Kündigung eines Piloten von Air Berlin unwirksam
Die Kündigungen des Cockpit-Personals der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin sind wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige unwirksam. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 27. Februar 2020 (Az.: 8 AZR 215/19).
Sachverhalt
Die Parteien stritten u.a. um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Die Beklagte ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Fluggesellschaft Air Berlin. Die Fluggesellschaft, die ihren Sitz in Berlin hatte, unterhielt sogenannte Stationen an zehn deutschen Flughäfen. Jeder Station war (soweit erforderlich) Personal für die Bereiche Boden, Kabine und Cockpit zugeordnet. Die Steuerung des Flugbetriebs, insbesondere auch der Einsatzpläne des Personals, erfolgte jedoch zentral aus Berlin. Der Kläger war als Flugkapitän der Station Köln zugeordnet.
Air Berlin kündigte die Arbeitsverhältnisse des gesamten Cockpit-Personals – einschließlich des Klägers – nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Stilllegung des Flugbetriebs Ende November 2017. Zudem erstattete Air Berlin eine Massenentlassungsanzeige für das gesamte bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal – nach Ansicht der Fluggesellschaft dem „Betrieb Cockpit" – bei der für ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord. Angaben zu dem den Stationen zugeordneten Boden- und Kabinenpersonal enthielt die Anzeige nicht.
Der Kläger bestritt die soziale Rechtfertigung der Kündigung. Der Flugbetrieb sei nicht stillgelegt worden, sondern durch andere Fluggesellschaften teilweise weitergeführt, weshalb eine Sozialauswahl nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) hätte durchgeführt werden müssen. Diese Fortführung habe in einem teilweise sogenannten Wet-Leasing eines Teils der Flotte neben Personal an eine andere Fluggesellschaft gelegen. Darüber hinaus sei die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft.
Die Vorinstanzen hatten die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Rechtliche Einordnung
Das BAG gab der Klage statt. Die angegriffene Kündigung war wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige unwirksam. Bei der Anzeige sei der maßgebliche Betriebsbegriff verkannt worden, weshalb die Anzeige am falschen Ort erstattet worden sei. Bei den sogenannten Stationen handele es sich um eigene Betriebe im Sinne der Vorschrift zur Massenentlassungsanzeige, vgl. § 17 Abs. 1 KSchG. Danach muss der Arbeitgeber eine sogenannte Massenentlassungsanzeige erstatten, bevor er in einem Betrieb eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Die Massenentlassungsanzeige ist bei der Agentur für Arbeit zu erstatten, in deren Bezirk die Auswirkungen der Massenentlassung auftreten. Die Massenentlassungsanzeige des der Station Köln zugeordneten Cockpit-Personals hätte folglich bei der Agentur für Arbeit in Köln erstattet werden müssen, nicht in Berlin, dem Sitz der Fluggesellschaft. Dies gelte selbst dann, wenn der gesamte Einsatzplan der Flugzeuge wie auch der Besatzung aus Berlin heraus gesteuert worden sei, also die Leitung im eigentlichen Sinne in Köln nicht vorhanden war.
Außerdem enthielte die Massenentlassungsanzeige nicht alle erforderlichen Angaben, da diese nur auf das Cockpit-Personal beschränkt und nicht auch auf das Kabinenpersonal bezogen worden sei. Nach § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG muss die Anzeige unter anderem auch die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer enthalten. Somit seien auch Angaben zu dem an der Station Köln beschäftigten Boden- und Kabinen-Personal zwingend erforderlich gewesen.
Erstattet der Arbeitgeber die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur, die zudem nicht die erforderlichen Angaben enthält, führt dies zur Unwirksamkeit der betroffenen Kündigungen. Die Fragen betreffend die Stilllegungsanordnung sowie eine eventuell erforderliche Sozialauswahl konnte offen bleiben.
Nach jüngst ergangenem Urteil des BAG vom 14. Mai 2020 (Az.: 6 AZR 235/19), hat das Gericht auch die Kündigungen des Kabinenpersonals aus denselben Gründen für unwirksam erklärt. Auch hier hatte Air Berlin angenommenen, es bestünde ein "Betrieb Kabine" und die Massenentlassungsanzeige bezogen auf das bundesweit beschäftigte Kabinen-Personal bei der Agentur für Arbeit Berlin-Nord erstattet.
Fazit
Die Begründung der Urteile, insbesondere die Einstufung der Stationen als Betrieb, bleibt abzuwarten. Bislang liegen nur entsprechende Pressemitteilungen vor. Allerdings zeigen diese jüngsten Urteile wieder einmal, dass die Massenentlassungsanzeige in ihrer Komplexität ein besonderes Augenmerk erfordert, da falsche Annahmen gravierende wirtschaftliche Auswirkungen haben können. Der der Massenentlassungsanzeige zugrundeliegende Betriebsbegriff wird maßgeblich durch die Vorgaben der Europäischen Massenentlassungsrichtlinie geprägt. Der unionsrechtliche Betriebsbegriff ist dabei in vielen Fällen deutlich weiter zu verstehen als der Betriebsbegriff nach deutschem Recht. So kann zum Beispiel eine Einheit auch dann als Betrieb eingestuft werden, wenn sie über keine maßgebliche wirtschaftliche oder verwaltungstechnische Selbständigkeit verfügt. Vor diesem Hintergrund sollte stets genau geprüft werden, welche Einheit ein Betrieb in diesem Sinne darstellen könnte, was bei Zweifelsfällen gegebenenfalls zu einer doppelten Anzeigeerstattung führen kann, so dass alle Eventualitäten abgedeckt sind.
Dass das Gebiet der Massenentlassungsanzeige „vermintes Gelände" ist, hätte den unteren Instanzen durchaus bekannt sein können. Zum Beispiel wird – auf Grund des abweichenden Arbeitnehmerbegriffs im Unionsrecht – der Geschäftsführer hier als Arbeitnehmer mitgezählt. Es kann also nur dringend empfohlen werden, die Anzeige nach § 17 KSchG nicht als „Papiertiger" zu behandeln, sondern diese sehr sorgfältig – in der Regel mit anwaltlicher Unterstützung – auszufüllen. Selbst wenn ein materiell wirksamer Kündigungsgrund vorliegt, mag sich die Kündigung einer falschen Anzeige als unwirksam erweisen.
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