Und wo ist der Bus?
Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Betriebsmitteln
Im Zuge der Kündigungsschutzverfahren zweier ehemals bei einem Busunternehmen beschäftigter Mitarbeiter stellte sich die Frage, ob ein Betriebsübergang auch dann vorliegen kann, wenn bei einem nicht betriebsmittelarmen Betrieb – wie bei einem Busunternehmen – nur eine Übernahme von Funktionen und Teilen der Belegschaft erfolgt, die Betriebsmittel dagegen nicht übernommen werden, da diese – hier die Busse – umweltrelevanten und technischen Vorgaben nicht mehr entsprachen. Das Arbeitsgericht Cottbus setzte das Verfahren aus und legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor, der nun mit Urteil vom 27. Februar 2020 (Az.: C-298/18) entschieden hat.
Sachverhalt
Im Ausgangsverfahren ging es um die Rechtmäßigkeit der Kündigungen zweier bei der beklagten Nahverkehrs-GmbH beschäftigten Busfahrer. Die Beklagte betrieb den öffentlichen Busverkehrsdienst eines Landkreises. Der Landkreis schrieb jedoch im Jahr 2016 die betreffenden Verkehrsdienste neu aus. Die Beklagte gab kein Angebot ab, stellte den Geschäftsbetrieb ein und kündigte sämtlichen Arbeitnehmern. Dazu schloss sie im Januar 2017 einen Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat. Darin war vorgesehen, dass Arbeitnehmer eine Abfindung erhalten sollen, wenn sie von dem neuen Auftragnehmer kein Übernahmeangebot erhalten oder bei Neueinstellung finanzielle Verluste erleiden. Der neue Betreiber stellte einen überwiegenden Teil der Busfahrer und einen Teil der Führungskräfte des Beklagten ein. Die Busse, Betriebsstätten und sonstige Betriebsanlagen des Beklagen übernahm er jedoch nicht, da diese nicht den in der Ausschreibung vorgegebenen technischen und umweltrelevanten Anforderungen entsprachen. Somit betrieb er die Buslinien auf denselben Routen mit einem Großteil des Personals des Vorbetreibers mit neuen Bussen weiter.
Der erste Kläger war seit 1987 bei der Beklagten beschäftigt. Nach Kündigung durch die Beklagte zum 31. August 2017, wurde er beim neuen Auftragnehmer weiter als Busfahrer beschäftigt. Der neue Arbeitgeber erkannte die Betriebszugehörigkeit des Klägers nicht an und stufte ihn in die Eingangsstufe des geltenden Tarifvertrages ein. Der Kläger wehrte sich dagegen, schließlich sei das Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs auf den neuen Betreiber übergegangen, seine Betriebszugehörigkeit laufe damit ununterbrochen fort.
Der zweite Kläger war seit 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Beim neuen Auftragnehmer wurde er nicht weiterbeschäftigt. Auch er setzte sich gegen seine Kündigung zur Wehr und forderte hilfsweise die Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan.
Die Beklagte machte geltend, dass der Arbeitsvertrag aufgrund des Unternehmensübergangs auf den neuen Betreiber übergegangen sei und sie daher nicht zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet sei. Ob jedoch ein Betriebsübergang auf den neuen Betreiber erfolgt ist, war strittig, da dieser keine Betriebsmittel übernommen hatte. Das Arbeitsgericht Cottbus legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob vorliegend ein Betriebsübergang im Sinne der Europäischen Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG) in Betracht kommen könne.
Rechtliche Einordnung
Der EuGH führt – entsprechend der gefestigten Rechtsprechung – aus, dass die Frage, ob ein Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne der Richtlinie vorliegt, anhand einer Gesamtabwägung zu beantworten sei. Entscheidendes Merkmal eines „Betriebsübergangs" ist, dass der Betrieb seine Identität auch nach Übergang auf den neuen Betreiber bewahrt. Die Entscheidung des neuen Betreibers, die Betriebsmittel des früheren Betreibers nicht zu übernehmen, sei vorliegend durch die technischen und umweltrelevanten Vorgaben in der Ausschreibung – und damit äußerliche Vorgaben – bestimmt worden. Der vorhandene Busbestand habe diese Voraussetzungen nicht erfüllt, da die Busse unter anderem die zugelassene Betriebsdauer erreicht hatten. Vor diesem Hintergrund stünde die Entscheidung des neuen Betreibers, die vorhandenen Betriebsmittel nicht zu übernehmen, der Annahme eines „Betriebsübergangs" nicht entgegen. Maßgeblich sei, dass der neue Betreiber einen Großteil der Belegschaft übernommen und für identische oder ähnliche Aufgaben eingesetzt habe. Auf diese Weise habe die wirtschaftliche Tätigkeit ohne Unterbrechung fortgeführt werden können. Der neue Betrieb konnte sich so auch das Knowhow der Mitarbeiter zu Nutze machen, die die unverändert gefahrenen Strecken kannten.
Diese Entscheidung stehe auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des EuGH vom 25. Januar 2001 (C-172/99). Dort hatte der EuGH zwar einen Busbetrieb als nicht betriebsmittelarm qualifiziert und daraus gefolgert, dass die Nichtübernahme unerlässlicher Betriebsmittel einer Identitätswahrung der wirtschaftlichen Einheit entgegensteht. Der hiesige Fall unterscheide sich davon jedoch, da die Übernahme der Busse durch den neuen Betreiber entgegen den Vorgaben der Ausschreibung gewesen wäre, also rechtlich ausgeschlossen war.
Fazit
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in einem ähnlichen Fall im Jahr 2016 (Az.: 8 AZR 53/15) anders entschieden. Daher bleibt abzuwarten, ob sich die Rechtsprechung des EuGH durchsetzen wird. Die Schwierigkeit der Abwägungsfrage, ob ein Betriebsübergang vorliegt oder nicht, wird jedenfalls noch dadurch weiter kompliziert, als auch die Gründe für die Nichtübernahme der Betriebsmittel mit zu berücksichtigen sind. Nach bisherigem Verständnis kommt es zu einem Betriebsübergang, wenn eine wirtschaftliche Einheit tatsächlich identitätswahrend übergeht. Maßgeblich waren die Tatsachen – also eine Bewertung dessen, was übergeht – und nicht die dahinterstehenden Gründe, weswegen etwas übergeht oder eben nicht übergeht. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass gerade das Wissen und Knowhow der Mitarbeiter vielleicht doch eher entscheidet als das Fahrzeug, dass der Mitarbeiter steuert. Es bleibt festzustellen, dass in jeder Situation, in der es um Auftragsnachfolge geht, gerade bezüglich der Arbeitsverhältnisse Unsicherheit herrscht, was die Kalkulation eines Anbietenden erheblich beeinträchtigt.
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