EuGH: Implizit verlängerte befristete Arbeitsverhältnisse stellen Kettenbefristungen dar
In den hier besprochenen Rechtsstreitigkeiten geht es um Personen, die sich seit vielen Jahren in befristeten Arbeitsverhältnissen im Gesundheitsdienst der spanischen Gemeinschaft Madrid, also im öffentlichen Dienst, befinden. Sie hatten im Rahmen von befristeten Einstellungen über Jahre hinweg unterunterbrochen dieselbe Stelle inne und erfüllten kontinuierlich dieselben Aufgaben. Grund für die Befristung war, dass ihr Arbeitgeber nach den entsprechenden Bestimmungen bis zur Auswahlentscheidung für eine dauerhafte Besetzung einer Stelle im öffentlichen Dienst befristet einstellen durfte. Der öffentliche Arbeitgeber kam aber seiner gesetzlichen Verpflichtung, fristgerecht ein Auswahlverfahren zur endgültigen Besetzung der freien Stelle durchzuführen, nicht nach und das Arbeitsverhältnis verlängerte sich somit implizit immer weiter, ohne dass etwa ausdrückliche neue befristete Vereinbarungen abgeschlossen wurden. Die befristeten Arbeitsverhältnisse verlängerten sich gleichsam durch „Nichtstun". Die Kläger beantragten, als festangestelltes „statutarisches Personal" oder als „öffentliche Bedienstete" mit einem ähnlichen Status anerkannt zu werden. Dies verweigerte ihnen die Gemeinschaft Madrid. Die spanischen Gerichte legten dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vor, die insbesondere die Auslegung der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge betrafen. Fraglich war unter anderem, ob in den vorliegenden Fällen ein einziges befristetes Arbeitsverhältnis vorliegt oder mehrere derartige Arbeitsverhältnisse. Zudem sollte geklärt werden, ob die Tatsache, dass Arbeitnehmer der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt haben, einer etwaigen Kettenbefristung ihren missbräuchlichen Charakter nehmen kann.
Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH entschied in seinem Urteil vom 19. März 2020, Az.: C-103/18 und C-429/18, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse dahingehend auszulegen sei, dass die Mitgliedstaaten Arbeitnehmer, die sich seit langem in befristeten Arbeitsverhältnissen befinden, also im Rahmen mehrerer befristeter Einstellungen über mehrere Jahre hinweg unterunterbrochen dieselbe Stelle innehaben und kontinuierlich dieselben Aufgaben erfüllen, nicht vom Begriff der „aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnisse" ausnehmen dürfen, wenn sich die Verlängerungen „inzident" wie hier durch Verzögerung der Einstellungsprozesse ergeben. Zwar sei es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, festzulegen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverhältnisse als „aufeinanderfolgend" zu betrachten sind, dieser Spielraum sei aber nicht unbegrenzt. Die Grenze verlaufe, wo das Ziel oder die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung in Frage gestellt wird und Missbräuche ermöglicht werden. Dies sei der Fall, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass nur deswegen keine aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnisse im Sinne der Rahmenvereinbarung vorliegen, weil der betreffende Arbeitnehmer trotz mehrerer Einstellungen über Jahre hinweg ununterbrochen dieselbe Stelle innehatte und kontinuierlich dieselben Aufgaben erfüllte. Einer derart restriktiven Definition des Begriffs „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse" würde es ermöglichen Arbeitnehmer über Jahre hinweg in unsicheren Verhältnissen zu beschäftigen. Zudem bestünde die Gefahr, dass Arbeitgeber solche Arbeitsverhältnisse missbräuchlich zur Deckung eines ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarfs nutzen.
Auch die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses ändere hieran nichts. Der Rahmenvereinbarung würde jede praktische Wirksamkeit genommen, wenn befristet beschäftigte Arbeitnehmer den durch die Rahmenvereinbarung gewährleisteten Schutz allein deswegen verlören, weil sie der Begründung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse zugestimmt hätten. Das Ziel der Rahmenvereinbarung, den wiederholten Rückgriff auf befristete Arbeitsverhältnisse zu begrenzen, beruhe auf der Annahme einer gegenüber dem Arbeitgeber strukturell schwächeren Position der Arbeitnehmer. Denn gerade die strukturell schwächere Position könne Arbeitnehmer davon abhalten, ihre Rechte gegenüber ihren Arbeitgebern explizit geltend zu machen.
Fazit
Das Urteil reiht sich ein in die Rechtsprechung des EuGH und dem folgend des BAG, die darauf gerichtet ist, Missbrauch von Kettenbefristungen zu verhindern. Grundsätzlich kann es schon zu einer mehrjährigen Mitarbeit auf Basis befristeter Arbeitsverträge kommen, sollten diesen „wahre Befristungsgründe" zu Grunde liegen. Dass eine Kettenbefristung nicht nur vorliegt, wenn eine Vielzahl von Verträgen abgeschlossen wird, sondern auch wenn der Vertrag sich durch Nichtstun immer weiter verlängert, zeigt dieses Urteil.
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