Annahmeverzugslohn nur bei Auskunft über Bewerbungsbemühungen
Sachverhalt
Der als Sachbearbeiter in einer Versicherung tätige Kläger wendete sich im Kündigungsschutzverfahren erfolgreich gegen zwei fristlos ausgesprochene Kündigungen aus den Monaten Mai 2017 und Juni 2019 und macht Annahmeverzugsvergütungsansprüche im Zeitraum von Mai 2017 bis April 2021 geltend. Der Kläger erhielt zunächst Arbeitslosengeld I, sodann Arbeitslosengeld II. Die Bundesagentur für Arbeit bzw. das Jobcenter unterbreitete dem Kläger im Zeitraum vom 5. Mai 2017 bis April 2021 insgesamt 23 Vermittlungsvorschläge. Der Kläger erzielte keinen Zwischenverdienst. Der Kläger behauptete, ab Oktober 2018 104 Bewerbungen per E-Mail auf Offerten in der Online-Jobbörse der Agentur für Arbeit versandt zu haben, woraufhin er 75 Absagen und in 29 Fällen keine Reaktion erhalten habe.
Der Kläger hat die behaupteten Absagen und anderweitigen Reaktionen nicht belegt oder Auskunft darüber erteilt, welche Bemühungen er in Reaktion auf die Vermittlungsvorschläge konkret unternommen hat.
Die Vorinstanz, das Arbeitsgericht Berlin, hat die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Das LAG bestätigte das Urteil des Arbeitsgericht Berlin und wies die Berufung zurück. Zwar stellte es fest, dass dem Kläger aufgrund der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung der begehrten Annahmeverzugsvergütung zusteht, welcher aber wegen böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Vermittlungsvorschläge auf null zu reduzieren sei.
Den erfolgreichen Einwand der Beklagten, der Kläger habe sich dadurch gemäß § 11 S. 1 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in Höhe der geltend gemachten Annahmeverzugsvergütung böswillig unterlassene Verdienste anrechnen zu lassen, begründet das LAG damit, dass der Kläger die behaupteten Absagen und anderweitigen Reaktionen nicht belegt habe und im Übrigen auch keine hinreichende Auskunft darüber erteilt habe, welche Bemühungen er im Hinblick auf die unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unternommen habe.
Dieses auf die Beweislastregeln gestützte Endergebnis schichtet das LAG kleinschrittig ab, indem es zunächst feststellt, dass der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für Einwendungen nach § 11 S. 1 Nr. 1 und 2 KSchG trägt.
Da es dem Arbeitsgeber ohne weitere Informationen zu den finanziellen und organisatorischen Eckpunkten der unterbreiteten Vermittlungsvorschläge nahezu unmöglich sei, die Zumutbarkeit der Annahme eines Vermittlungsvorschlags durch den Arbeitnehmer zu beurteilen, leitet das LAG auf der Basis der Grundsätze zur sekundären Darlegungslast einen Auskunftsanspruch gegen den Kläger über den Inhalt der von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge her. Das LAG stellt fest, dass der Kläger diesen Auskunftsanspruch erfüllt hat, indem er dem Arbeitgeber die ihm unterbreiteten Vermittlungsvorschläge mitgeteilt habe. Somit war nun wieder Sache der Beklagten hinreichend darzulegen, dass es dem Kläger zumutbar gewesen sei, einen der Vermittlungsvorschläge anzunehmen. Hier konnte die Beklagte nach der Beweiswürdigung des Gerichts hinreichend darlegen, dass sich der Kläger nicht auf sämtliche der ihm unterbreiteten Vermittlungsvorschläge beworben und er auch im Übrigen keine weiteren Bewerbungsbemühungen im Hinblick auf weitere von der Agentur für Arbeit bzw. dem Jobcenter benannten Jobofferten entfaltet hat. Ergänzend stellte das LAG auch auf die mangelnde sprachliche und optische Qualität der vom Kläger versandten Bewerbungsschreiben ab. Somit war wiederum der Kläger dahingehend beweisbelastet, dass ihm die Annahme eines Vermittlungs- oder Jobangebots unzumutbar gewesen sei. Da der Kläger Umstände, die gegen eine zumutbare Annahme eines ihm unterbreiteten Vermittlungs- und Jobangebots sprechen, nach Ansicht des LAG nicht hinreichend vorgetragen hat, griff der Einwand der Beklagten vollumfänglich, sodass dem Arbeitnehmer nach Ansicht des LAG kein Anspruch auf Zahlung einer Annahmeverzugsvergütung zustand.
Praxishinweis
Die wirtschaftliche Belastung mit Ansprüchen des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Annahmeverzugsvergütung für den Fall einer langen Dauer eines Kündigungsschutzprozesses, an dessen Ende die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung(en) festgestellt wird, ist für den Arbeitgeber eine große wirtschaftliche Last. Daher liegt es auf Seite des Arbeitgebers nahe, dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Verzugsvergütung entgegenzuhalten, dieser habe realistische Beschäftigungsmöglichkeiten bei einem anderen Arbeitgeber nicht wahrgenommen.
Arbeitgeber sind gut beraten, gegenüber dem Arbeitnehmer, der eine Annahmeverzugsvergütung eingeklagt hat, einen Auskunftsanspruch über den Inhalt der dem Arbeitnehmer unterbreiteten Vermittlungsvorschläge geltend zu machen, insbesondere nach der Tätigkeit, der Arbeitszeit, dem Arbeitsort und der Vergütung zu fragen. Führen die erteilten Auskünfte dazu, dass die Annahme der anderweitigen realistischen Beschäftigung dem Arbeitnehmer zumutbar erscheint, hat der Arbeitgeber gute Karten, den Anspruch auf Annahmevergütung vollständig zu Fall zu bringen.
Der Arbeitgeber sollte sich jedoch nicht allein auf den Auskunftsanspruch verlassen, sondern dem Arbeitnehmer proaktiv dem Anforderungsprofil des Arbeitnehmers entsprechende Stellenanzeigen übersenden und den Versand entsprechend dokumentieren. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer wiederum Umstände vortragen, die ihm die Annahme der Beschäftigungsmöglichkeit unzumutbar machen. Angesichts der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften, insbesondere nach Fachkräften, dürfte es passiven und bewerbungsunwilligen Arbeitnehmern nunmehr schwer fallen, erfolgreich die Zahlung einer (hohen) Annahmeverzugsvergütung bei länger dauernden Kündigungsschutzprozessen geltend zu machen.
Dies dürfte die Verhandlungsposition des Arbeitgebers bei Vergleichen erheblich stärken, da dem Arbeitnehmer bei passivem Bewerbungsverhalten für die Dauer des Kündigungsprozesses der vollständige Verlust der Annahmeverzugsvergütung droht.
Bisher nicht geklärt ist jedoch, ob sich der Auskunftsanspruch auch auf die eigenen Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers erstreckt.
Artikel als PDF speichern
T +49 - 69 - 97 40 12 - 57
M +49 - 172 - 684 35 29