Funktionsverlagerung im Konzern – betriebsbedingte Kündigung?
Rechtlicher Hintergrund
Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt sind, genießen Kündigungsschutz gemäß dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber ist nur wirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist, zum Beispiel aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse (§ 1 Abs.2 Satz 1 KSchG). Eine betriebsbedingte Kündigung setzt zunächst voraus, dass ein dauerhafter Wegfall des Arbeitsbedarfs vorliegt. Darüber hinaus muss der Wegfall des Arbeitsbedarfs genau dort eintreten, wo der gekündigte Arbeitnehmer zuletzt tätig war, und er muss spätestens innerhalb der Kündigungsfrist "konkrete Formen" angenommen haben. Wenn der Arbeitsentfall auf eine unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers zurückzuführen ist, muss zumindest mit ihrer Umsetzung begonnen worden sein.
Das Arbeitsgericht prüft bei einer Kündigungsschutzklage die unternehmerische Entscheidung, die zum Wegfall des Arbeitsbedarfs führt, nicht hinsichtlich ihrer sachlichen Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit. Nur in seltenen Ausnahmefällen, in denen eine solche Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, kann eine betriebsbedingte Kündigung als ungerechtfertigt angesehen werden.
Kürzlich hatte das BAG zu entscheiden, ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn der Arbeitgeber eine Aufgabe nicht mehr in seinem Betrieb ausführt und diese Aufgabe stattdessen von einem konzernzugehörigen Schwesterunternehmen fortgeführt wird, d.h. es zu einer Verlagerung von Aufgaben innerhalb eines Konzerns kommt, die Aufgabe gleichsam „in der Familie“ verlagert wird.
Sachverhalt
Ein leitender Mitarbeiter im Vertrieb war seit 2018 bei der deutschen Tochtergesellschaft eines ausländischen Konzerns als "Vice President & Country Manager Germany" tätig. Er führte fünf oder sechs Mitarbeiter mit der Bezeichnung "Sales Director" und berichtete selbst – im Rahmen einer Matrix Organisation – an den "Area Vice President" bei der in London ansässigen Konzernschwester der deutschen Gesellschaft.
Im Mai 2020 entschied die deutsche Gesellschaft, dass ihre "Sales Directors" zukünftig direkt an den "Area Vice President" berichten sollten. Dadurch entfiel die Position des "Country Managers Germany" ab dem 1. Juli 2020. Die Aufgaben wurden fortan von Frau M, der Area Vice President in London übernommen. Aus betriebsbedingten Gründen kündigte die deutsche Gesellschaft dem „Country Manager“ im Mai 2020 zum Ende Juni 2020.
Die Klage gegen die Kündigung blieb sowohl vor dem Arbeitsgericht München (Urteil vom 09.02.2021, 41 C 6253/20) als auch vor dem Landesarbeitsgericht München (Urteil vom 22.03.2022, 7 Sa 170/21) erfolglos.
Die Entscheidung
Auch der Revision des Klägers erteilte das BAG eine Absage.
Die Richter in Erfurt stellten fest, dass die einer betriebsbedingten Kündigung zugrundeliegende unternehmerische Entscheidung nicht – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ sein muss. Der Arbeitgeber sei nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen, sofern sie nicht offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Zu der unternehmerischen Freiheit gehört auch das Recht festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollen, wie eben die Führung der „Sales Directors“ aus einem anderen Konzernunternehmen heraus. Dies gilt auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen. Das BAG stellte weiter fest, dass es grundsätzlich keinen Unterschied mache, ob das Drittunternehmen ein Konzernunternehmen sei oder nicht. Entscheidungsrelevant sei, dass die Aufgaben zur selbstständigen Erledigung übertragen werden. Anderenfalls läge eine unzulässige Austauschkündigung vor. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass eine mögliche Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers im Konzern rechtlich in aller Regel nicht relevant ist, sondern nur im Unternehmen des Vertragsarbeigebers.
Nicht maßgeblich sei indes, dass die Fremdvergabe an die englische Gesellschaft keine Kostenersparnis und auch keine Straffung des Tätigkeitsablaufs zur Folge hatten. Auch wenn schon bei Ausspruch der Kündigung absehbar gewesen wäre, dass der Arbeitgeber mit seiner Maßnahme die angestrebten Ziele nicht erreichen könnte, wäre das noch kein Anzeichen für sachfremde Erwägungen. Auch dann wäre die Unternehmerentscheidung durch Art.12, Art.14 und Art.2 Abs.1 Grundgesetz, d.h. durch die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers geschützt.
Praxishinweis
In der globalen Unternehmenswelt sind sog. Matrixstrukturen keine Seltenheit. Danach berichten Mitarbeiter unternehmens- und oft auch länderübergreifend an Vorgesetzte konzernangehöriger Schwester- oder Muttergesellschaften. Die Berichtslinien von Mitarbeitern spielen bei betriebsbedingten Einzelkündigungen immer wieder eine entscheidende Rolle.
Sind bei betriebsbedingten Einzelkündigungen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers, d.h. der Entschluss zur Streichung einer (einzigen) Stelle, und sein Kündigungsentschluss „praktisch deckungsgleich“, muss der Arbeitgeber seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen – so die bisherige Rechtsprechung des BAG.
Die vorliegende Entscheidung zeigt jedoch auf, dass die Unternehmerentscheidung bei betriebsbedingten Einzelkündigungen sogar dann grundrechtlich geschützt bzw. hinzunehmen ist, wenn bereits zum Kündigungszeitpunkt absehbar ist, dass der Arbeitgeber mit seiner Maßnahme die angestrebten Ziele nicht erreichen kann.
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