Außerordentliche Kündigung – Äußerungen in Videobotschaft
Sachverhalt
Der Kläger ist seit 1991 bei der Beklagten beschäftigt und seit April 2018 ordentliches Mitglied des Betriebsrates. Der Betriebsrat ist durch die unterschiedliche Gewerkschaftszugehörigkeiten in mehrere „Lager“ gespalten. Am 31. August 2020 fand eine Sitzung des Betriebsrates statt. Zwischen den Parteien besteht Streit, ob der Kläger in dieser Sitzung unerlaubt Videoaufzeichnungen des Betriebsratsvorsitzenden angefertigt hat.
Am 5. Oktober 2020 wurde der Kläger zur Frage nach der Anfertigung der Videoaufzeichnung angehört. Im Anschluss daran nahm er in einem vor dem Betriebsgelände der Beklagten aufgezeichneten Video zu den erhobenen Vorwürfen Stellung. In dem Video behauptete der Kläger, die Funktionäre der etablierten Gewerkschaften hätten ihn mit Lügen und haltlosen Behauptungen beim Arbeitgeber denunziert, „sein Kopf solle rollen“ und er schnellstmöglich gekündigt werden. Wenige Tage später postete der Kläger das Video auf einem von ihm betriebenen Social-Media-Kanal. Das Video ist überschrieben mit: „Politische Kündigung?“. Im Untertitel wirft der Kläger die Frage auf: „Komplott unter der Gürtellinie. Will (…)-Hersteller mit Lügen Betriebsrat kündigen?“ Dabei ist im Standbild des Videos das Unternehmenslogo sichtbar.
Die Beklagte kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 14. Oktober 2020 sowie 22. Oktober 2020 außerordentlich fristlos. Die erste Kündigung stützte sie auf den Vorwurf der unzulässigen Videoaufnahme des Betriebsratsvorsitzenden, die zweite auf die beschriebene Videoveröffentlichung.
Auf die durch den Kläger erhobene Kündigungsschutzklage erklärte die Vorinstanz – das Arbeitsgericht Leipzig – die erste Kündigung für unwirksam, die zweite hingegen für wirksam.
Entscheidung
Auf die von beiden Parteien eingelegte Berufung stellte das LAG nun fest, dass sowohl die Kündigung vom 14. Oktober 2020 als auch die vom 22. Oktober 2020 unwirksam seien.
Im Hinblick auf die Kündigung vom 14. Oktober 2020 habe die Beklagte nicht beweisen können, dass der Kläger in der Betriebsratssitzung vom 31. August 2020 tatsächlich eine unerlaubte Videoaufnahme des Betriebsratsvorsitzenden angefertigt habe, die allerdings an sich geeignet sein könne, eine Kündigung zu rechtfertigen. Auch die Voraussetzungen für eine außerordentliche Verdachtskündigung in diesem Fall sah das Gericht nicht als gegeben. Es gebe bereits keine ausreichenden schweren Verdachtsmomente gegen den Kläger. Letztlich habe keiner der Zeugen eine glaubhafte Aussage darüber treffen können, ob die Aufnahme-Funktion am Handy des Klägers tatsächlich eingeschaltet gewesen sei. Dabei berücksichtigte das Gericht ausdrücklich auch die „Lagerzugehörigkeit“ der verschiedenen Zeugen.
Auch die Kündigung vom 22. Oktober 2020 hielt das LAG für unwirksam. Die Veröffentlichung des kritischen Videos sei von der Meinungsfreiheit umfasst und daher keine Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis, die einen Kündigungsgrund darstellen könne. Für die Frage, ob eine Aussage unter die Meinungsfreiheit falle, komme es darauf an, ob der Arbeitnehmer bewusst falsche Tatsachenbehauptungen treffe oder ein eigenes Werturteil äußere.
Zwar sei die Verwendung der Begriffe „politische Kündigung“ und „Lügen“ zusammen mit dem auf dem Standbild erkennbaren Unternehmenslogo geeignet, die Beklagte in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Begriffe seien jedoch einerseits bloß im Rahmen einer Frage formuliert und dürften zudem nicht isoliert betrachtet werden. Aus dem Kontext, dem Inhalt des Videos, werde deutlich, dass der Kläger allein den Funktionären einer Gewerkschaft aus dem anderen „Lager“ Lügen vorwerfe. Da die Beklagte aus Sicht des Klägers nur den Zeugen der anderen Gewerkschaft Glauben schenkte, habe der Kläger hierin einen „Komplott“ und darauf folgend eine (bevorstehende) „politische Kündigung“ ihm gegenüber angenommen. Dieser Vorgang sei letztlich eine subjektive Bewertung äußerer Geschehnisse, mithin ein Werturteil und von der Meinungsfreiheit umfasst.
In dem konkreten Fall überwiege die Meinungsfreiheit auch das Unternehmerpersönlichkeitsrecht der Beklagten. Bezüglich der Beklagten – einem großen international agierenden Konzern – falle die Meinungsäußerung des Klägers nicht schwerwiegend ins Gewicht. Insbesondere sei das Video sechs Tage nach der Veröffentlichung nur 28 mal geteilt und nur zehnmal kommentiert worden.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds in der Regel nur aus „wichtigem Grund“ möglich ist. Einfließen dürfe hier auch, dass es sich bei dem Kläger um einen nahezu dreißig Jahre Beschäftigten handelte.
Im ersten Teil zeigt die Entscheidung die hohen Anforderungen, welche die Rechtsprechung an eine Verdachtskündigung stellt. Für den Arbeitgeber muss ein schwerwiegender Verdachtsmoment vorliegen, der objektiv durch Tatsachen begründet sein muss, die einen „verständigen Arbeitgeber“ zur Kündigung veranlassen kann. Ferner muss eine große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers bestehen. Die vor einer Verdachtskündigung stets durchzuführende Anhörung des Arbeitnehmers hatte die Beklagte hier durchgeführt.
Interessant sind aber auch die Ausführungen des LAG zu der Frage, ob die Veröffentlichung des kritischen Videos vorliegend eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Dabei stellt das Gericht fest, dass auch die Vorwürfe der „Lüge“, des „Komplotts“ und der (bevorstehenden) „politischen Kündigung“ im Einzelfall noch durchaus gestattet sein können. Für die Praxis dürfte die Betonung hier jedoch auf dem „Einzelfall“ liegen. Denn, wie auch das Gericht feststellt, liegt eine die Kündigung rechtfertigende erhebliche Pflichtverletzung regelmäßig vor, wenn der Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, seine Vorgesetzten oder Kollegen bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufstellt oder eine bewusste und gewollte Geschäftsschädigung hervorruft. Stets sollte der Arbeitgeber also darauf achten, ob der Schwerpunkt einer „kritischen“ Aussage nicht viel mehr auf einem subjektiven Werturteil liegt und daher unter die Meinungsfreiheit fällt.
Fällt die Äußerung unter die Meinungsfreiheit, ist für die Frage nach einer wirksamen Kündigung das Gewicht der Meinungsäußerung zu beachten. Stößt z.B. ein veröffentlichtes Video auf keine besonders große Resonanz, schwächt dies die Möglichkeit eine Kündigung dadurch zu rechtfertigen. Zu werten sind aber auch die Äußerungen als solche. Schmähkritik hingegen ist keinesfalls im Rahmen der Meinungsfreiheit gedeckt. Zu einem solchen Fall lesen Sie den folgenden Beitrag in diesem Newsletter.
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