Außerordentliche Kündigung – Grenze zur Schmähkritik
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der Kläger war seit 2019 als Pasta-/Pizzabäcker bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte betreibt als Franchisenehmerin zwei Restaurants. Noch im Einstellungsjahr wurde der Kläger mehrfach von der Beklagten abgemahnt, unter anderem wegen verbaler sexueller Belästigung und Arbeitsverweigerung. Seinerseits wandte sich der Kläger im Jahr 2021 an das Landratsamt für Gesundheit und Soziales, um dieses aufzufordern bei dem Arbeitgeber die Arbeitszeitnachweise zu prüfen. Es gab jedoch keinen Grund zur Beanstandung. Gegenüber der Franchisegeberin erhob der Kläger in der Folge Vorwürfe der Ausbeutung der Arbeitskraft, des Mobbings und der Ungleichbehandlung sowie der Diskriminierung. In einer weiteren E-Mail schrieb der Kläger, er werde eine Klage erheben und, dass die Beklagte sich wegen Menschenhandels werde verantworten müsse. In der Folge kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.
Das Arbeitsgericht Stralsund gab der Klage statt. Die Beklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein.
Rechtlicher Rahmen
Das Arbeitsverhältnis kann gem. § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur dann gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Hierbei sind stets alle Umstände des Einzelfalls zu betrachten und die Interessen beider Vertragsparteien gegeneinander abzuwägen. Ein solch wichtiger Grund kann auch in der Verletzung nebenvertraglicher Pflichten liegen, wenn der Verstoß eine erhebliche Verletzung darstellt. Eine Nebenpflicht besteht gem. § 241 Abs. 2 BGB etwa darin, Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners zu nehmen. So können auch Beleidigungen gegenüber dem Arbeitgeber eine Verletzung einer solchen Nebenpflicht darstellen.
Allerdings ist hier im besonderen Maße Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu beachten. Danach ist die Meinungsfreiheit auch im Arbeitsumfeld geschützt. Es muss somit überprüft werden, ob getätigte Äußerungen noch in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, insbesondere der zulässigen Kritik, fallen. Handelt es sich bei den getroffenen Äußerungen jedoch um Schmähkritik, die nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern allein auf die Diffamierung der Person zielen, sind diese nicht mehr von der Meinungsfreiheit umfasst. Nach Betrachtung der Umstände des Einzelfalls und Abwägung der jeweiligen Interessen der Parteien, ist festzustellen, ob das Festhalten am Vertrag bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. Grundsätzlich ist die außerordentliche Kündigung als ultima ratio zu betrachten. Als milderes Mittel muss ihr grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen. Allerdings kann eine solche unter bestimmten Umständen entbehrlich sein, etwa wenn besonders schwere Verstöße des Arbeitnehmers vorliegen.
Entscheidung
Das LAG gab der Berufung statt und wies die Klage ab. Die außerordentliche Kündigung sei wirksam gewesen. Die Kammer stellte fest, dass die vom Kläger in seinen E-Mails an die Franchisegeberin und die geäußerten, schwerwiegenden Vorwürfe gegen die Beklagte, schwere Straftaten begangen zu haben und gegen Gesetze verstoßen zu haben, an sich einen Kündigungsgrund darstellen. Die geäußerten Vorwürfe würden schwerwiegende Ehrverletzungen darstellen, die der Kläger auf keinerlei Tatsachenvortrag stützen könne. Es würde sich bei den Vorwürfen um unsachliche Angriffe handeln, die die Grenze zur Schmähkritik überschritten und von der Beklagten nicht hingenommen werden müssen. Da der Kläger keine Tatsachen darlege, die seine Vorwürfe stützen könnten, würde es ihm einzig um die Diffamierung der Beklagten gehen. Soweit der Kläger der Beklagten kriminelle Machenschaften, wie etwa Menschenhandel, unterstellt, liegt eine grobe Beleidigung vor. In diesem Verhalten sei eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beklagten zu sehen. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Verwendung der von ihm gewählten extremen Formulierung auf fehlenden Sprachkenntnissen beruhe. Der Kläger habe nicht nur einmalig und aus Versehen Begriffe wie „vertragswidrig gehandelt“, „Ausbeutung der Arbeitskraft“, „gegen das Gesetz verstoßen“, „Menschenhandel“, „Diskriminierung“ verwendet, sondern diese sogar zusammen mit entsprechenden Gesetzesnormen genannt.
Das Gericht stellte überdies fest, dass die außerordentliche Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung verhältnismäßig war, da die geäußerten Vorwürfe eine so schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen, dass selbst die einmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nicht zumutbar sei und auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit der Parteien zu erwarten sei. Auch die Bedrohung, die Beklagte werde sich wegen Menschenhandels verantworten müssen, stelle eine derartige Pflichtverletzung dar, die eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertige.
Auch die sozialen Umstände des Klägers würden im Rahmen der Interessenabwägung keinen Ausschlag zugunsten des Klägers geben. Er sei nicht langjährig in dem Betrieb beschäftigt gewesen und es sei auch nicht zu erwarten, dass er Schwierigkeiten haben würde, eine neue Arbeit zu finden.
Praxishinweis
Diese Entscheidung zeigt, dass bei Äußerungen kritischen Inhalts in einem Arbeitsverhältnis Maß zu halten ist, Meinungen jedoch geäußert werden dürfen, nicht jedoch in Form von nicht durch Tatsachen untermauerte Verächtlichmachung der anderen Seite. Handelt es sich um pauschalisierte Vorwürfe, die mit keinerlei Tatsachenvortrag untermauert werden können, kann die Grenze zu diskreditierender Schmähkritik schnell überschritten sein. Durch ein solches Verhalten werden die Loyalitätspflicht und das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer derart zerrüttet, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar wird. Eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung kann folgen.
Artikel als PDF speichern