Inflationsausgleich und Gleichbehandlung
Rechtliche Einordnung
Seit dem 26. Oktober 2022 und bis zum 31. Dezember 2024 können Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und sozialabgabenfrei einen Betrag von bis zu 3.000 Euro gewähren, die sogenannte Inflationsausgleichsprämie. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung der Arbeitgeber. Die Inflation trifft alle Arbeitnehmer in der Regel gleichermaßen. Schließt der Arbeitgeber allerdings bei der Gewährung der Ausgleichsprämie gewisse Gruppen oder einzelne Beschäftigte aus, entsteht bei den Betroffenen ein Gefühl der Ungerechtigkeit, also die Frage, ob hier nicht alle gleich zu behandeln sind.
Insofern ist es kein Zufall, dass diese Thematik zuletzt gleich Gegenstand mehrerer arbeitsgerichtlicher Entscheidungen war.
Die betroffenen Arbeitnehmer berufen sich dabei in der Regel auf den sog. arbeitsrechtlichen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, welcher besagt, dass der Arbeitgeber bei begünstigenden Maßnahmen gegenüber seinen Arbeitnehmern keinen einzelnen Arbeitnehmer aus nicht sachlich gerechtfertigten Gründen schlechter als andere mit ihm vergleichbare Arbeitnehmer behandeln darf.
Sachverhalte und Entscheidungen
In der Entscheidung des LAG Niedersachen (Urteil vom 21.02.2024 – 8 Sa 564/23) ging es um die Nichtgewährung der Prämie gegenüber einem sich in Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmer. Dieser befand sich im Rahmen seines Altersteilzeitmodells in der sog. Passivphase und war demnach noch bis zum 30. September 2023 freigestellt bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte schloss den Kläger aus diesem Grund von der Gewährung der Prämie aus, da diese nur an die „active workforce“ ausbezahlt werde.
Wie das erstinstanzliche Gericht, hielt auch das LAG Niedersachsen dieses Vorgehen für rechtmäßig. Zunächst sähen die Gesetzesänderungen im Zuge der Gewährung der Inflationsausgleichsprämie keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss. Dass sie die Zahlung nur an eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern, nämlich die von ihr so bezeichnete „active workforce“ erbringen will, stehe im Ermessen der Beklagten. Die Beklagte verfolge hiermit ein anerkennenswertes Interesse. Beschäftigte in der Passivphase der Altersteilzeit – wie der Kläger – hätten nach den vertraglichen Bedingungen zukünftig keine Arbeitsleistung mehr zu erbringen. Die Beklagte vermöge sie durch die Zahlung daher auch nicht zu solcher Arbeitsleistung zu motivieren. Es sei auch nichts dafür ersichtlich und der Kläger behaupte auch nicht, dass andere Beschäftigte, von denen ebenfalls in Zukunft keine Arbeitsleistung mehr zu erwarten war bzw. gewesen wäre, von der Beklagten mit einer Zahlung der Inflationsausgleichsprämie bedacht worden wären. Nach alledem hat die Beklagte eine nachvollziehbare und nicht sachwidrige Differenzierung verschiedener Gruppen vorgenommen. Die Klage blieb somit erfolglos.
Diese Sichtweise teilte auch das LAG Düsseldorf (Urteil vom 5.3.2024 – 14 Sa 1148/23). Auch in dieser Entscheidung kam das Gericht zu dem Schluss, dass kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vorliege, wenn Tarifvertragsparteien Arbeitnehmer, die sich am Stichtag in der Passivphase der Altersteilzeit befunden haben, von der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie ausnehmen.
Eine andere Ausgangslage lag dem vom Arbeitsgericht Nienburg (Urteil vom 29.2.2024 – 1 Ca 155/23) zu entscheidenden Fall vor. Die Beklagte hatte dort – wie die gesamte Unternehmensgruppe – die Entscheidung getroffen, eine Inflationsausgleichsprämie in zwei Teilbeträgen im Oktober 2022 und Februar 2023 zu zahlen. Dabei knüpfte sie an die Auszahlung u.a. folgende Bedingungen: (i) „Nichtüberschreitung von Arbeitsunfähigkeitszeiten im Umfang von mehr als 60 Tagen (ausgenommen Arbeitsunfälle)“ und (ii) „Beschränkung auf den Kreis der Lkw-Fahrer, bei denen im Rahmen ihrer Tätigkeit auswärtige Übernachtungen anfallen.“
Der ohne auswärtige Übernachtungen im Tagverkehr eingesetzte Kläger war im Jahr 2022 an mehr als 60 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Mit der Klage verfolgt er die Zahlung der jeweils vollen Inflationsausgleichsprämie im Umfang von je 1.500 EUR für die Jahre 2022 und 2023.
Das ArbG gab der Klage statt. Dem Kläger stehe unter dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz der Zahlungsanspruch (volle Gleichstellung) zu. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbiete nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb der Gruppe, sondern eine sachfremde Gruppenbildung. Ein Arbeitgeber müsse bei freiwilligen Leistungen die Anspruchsvoraussetzungen so abgrenzen, dass ein Teil der Arbeitnehmer von Vergünstigungen nicht sachwidrig ausgeschlossen werde. Eine sachfremde Benachteiligung liege dann nicht vor, wenn sich nach dem Zweck der Leistung Gründe ergeben, die es rechtfertigten, diesen Arbeitnehmer, die einem anderen Arbeitnehmer gewährte Leistung vorzuenthalten. Ob ein Arbeitnehmer in Tagschicht arbeite, auswärts übernachten müsse, in der Verwaltung tätig sei o. Ä., mache hier keinen Unterschied.
Auch das weitere Kriterium der „Arbeitsunfähigkeit“ sei vorliegend sachwidrig. Das ergebe sich bereits bei einem rechnerischen Abgleich zwischen Arbeitnehmern, die gerade die geforderte sechsmonatige Betriebszugehörigkeit (ohne Überschreitung der Arbeitsunfähigkeitszeiten) im Betrachtungszeitraum erreicht hätten, und solchen länger beschäftigten Arbeitnehmern, die im gesamten Betrachtungszeitraum zwar für ca. zwei (60 Kalendertage) bzw. drei (60 Arbeitstage) Monate arbeitsunfähigkeitsbedingt nicht zur Arbeit erschienen aber aufgrund ihrer längeren Beschäftigungsdauer in Summe gegebenenfalls deutlich höhere Anwesenheitszeiten aufwiesen.
Praxishinweis
Arbeitgebern ist zu raten, bei der Gewährung der Inflationsausgleichsprämie – und bei Prämienzahlungen insgesamt – wenn bestimmten Arbeitnehmergruppen keine oder weniger Leistungen gewährt werden sollen, was grundsätzlich möglich ist, „sachgerechte Erwägungen“ bei der Differenzierung der Arbeitnehmergruppen zu treffen und diese im Einzelfall genau zu prüfen. Zu prüfen ist insbesondere, ob die Differenzierungskriterien rechtlichen Vorgaben standhalten. Wie verhält es sich bei Teilzeitbeschäftigten, wie geht man mit befristet beschäftigten Arbeitnehmern um, langzeiterkrankten Arbeitnehmern und ähnlichen Gruppen. Diese Gründe müssen auch gegenüber den Ausgeschlossenen „vermittelbar“ sein.
Andernfalls drohen nicht nur ein schlechtes Betriebsklima, sondern auch – wie die vorliegenden Entscheidungen zeigen – gerichtliche Auseinandersetzungen; gerade wenn es sich nicht nur um für den Arbeitnehmer nicht nur geringfügige Beträge geht. Im Zusammenhang mit Sonderzahlungen und Krankheitstagen beispielsweise sind anteilige Kürzungen nur im gesetzlichen Rahmen nach §4a EFZG zulässig.
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Jonas Anders, LL.M.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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