Variable Vergütung – Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe
Rechtliche Einordnung
Variable Vergütungsbestandteile (wie z.B. leistungsbezogene Boni, Provisionen oder gewinnabhängige Tantiemen) sind aus der heutigen Arbeitswelt nicht weg zu denken. Nicht selten machen sie – gerade bei hierarchisch höherrangigen Arbeitnehmern – einen erheblichen Anteil des sog. „Zielgehaltes“ aus, welches sich aus dem Grundgehalt und der variablen Vergütung zusammensetzt.
Je nach genauer Ausgestaltung im Arbeitsvertrag werden die für die variable Vergütung maßgeblichen Ziele in der Regel einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben (sog. Zielvorgabe) oder einvernehmlich zwischen dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart (sog. Zielvereinbarung). Dies sollte regelmäßig bis zu einem im Geschäftsjahr fest bestimmten Stichtag erfolgen – welcher häufig bereits arbeitsvertraglich oder kollektivrechtlich festgelegt ist –, damit die bestimmten Ziele bei dem Arbeitnehmer noch die entsprechende Anreizfunktion entfalten können.
Insbesondere in beendeten Arbeitsverhältnissen ist das Streitpotential über das Bestehen und die Höhe ggf. noch auszuzahlender variabler Vergütung hoch. Arbeitsgerichte sehen sich im Zusammenhang mit solchen „Bonusklagen“ mit einer Reihe von Rechtsfragen konfrontiert. Die vorliegende Entscheidung beschäftigt sich insofern mit einer verspätet erfolgten Zielvorgabe und einem Schadensersatzverlangen des Arbeitnehmers.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Schadensersatz aufgrund einer verspätet erfolgten Zielvorgabe für das Jahr 2019. Der Kläger war bei der Beklagten als „Head of Advertising“ tätig. Laut Arbeitsvertrag setzte sich sein Gehalt aus einem fixen und einem variablen Bestandteil zusammen. Die Beklagte hatte mit Betriebsvereinbarung zum 1. Januar 2019 die variable Vergütung angepasst. Danach sollten die Ziele für die einjährige variable Vergütung des Klägers bis zum 1. März des Jahres festgelegt werden. Im Geschäftsjahr 2019 teilte der Geschäftsführer der Beklagten den Führungskräften die Ziele für die variable Vergütung erst am 26. September 2019 mit. Dabei wurde ein Umsatzziel (35 %), ein EBITDA-Ziel (35 %) sowie ein individuelles Ziel (30 %) festgelegt.
Der Kläger kündigte zum 30. November 2019 und verlangte von der Beklagten in der Folge die Differenz zwischen der für das entsprechende Geschäftsjahr ausbezahlten und hundertprozentigen variablen Vergütung.
Entscheidung
Das LAG (Urteil vom 6. Februar 2024 - Az. 4 Sa 390/23) hob die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz auf und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung an den Kläger.
Nach dem LAG hat der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in der begehrten Höhe wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2019. Der Kläger könne Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden sei. Das LAG verwies zunächst auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach eine Zielvereinbarung spätestens nach Ablauf des Zeitraums, für den zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren sind, nicht mehr möglich ist. Eine Zielvereinbarung könne entsprechend dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kenne. Diese Prinzipien lassen sich nach Auffassung des LAG auch auf die einseitige Zielvorgaben übertragen.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betraf, auf deren Erfüllung der Kläger weniger Einfluss gehabt hätte als auf die Erfüllung von persönlichen Zielen. Gerade Mitarbeiter auf hohen Hierarchieebenen könnten in gewissem Umfang Einfluss auf die Unternehmenskennzahlen nehmen. Wäre dies anders, wäre es nicht gerechtfertigt, sie zum Gegenstand einer Zielvorgabe zu machen. Auch das BAG behandle persönliche und unternehmensbezogene Ziele im Hinblick auf ihre Motivations- und Anreizfunktion gleich.
Der zu ersetzende Schaden umfasse als entgangenen Gewinn auch eine entgangene Bonuszahlung. Maßgeblich sei eine hundertprozentige Zielerreichung, da keine besonderen Umstände vorliegen, die darauf schließen ließen, dass der Kläger seine Ziele nicht erreicht hätte. Hier knüpft das LAG an die Rechtsprechung des BAG an, wonach dieses davon ausgeht, dass in der Regel davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer bei rechtzeitiger Mitteilung der Ziele diese erreicht hätte. Es ist dann der Arbeitgeber, der Umstände vorzutragen hat, die dagegen sprechen.
Praxishinweis
Arbeitgeber sind gut beraten, ihren Mitarbeitern, die bonusberechtigt sind, die Ziele möglichst frühzeitig und insbesondere innerhalb der ggfs. vereinbarten Frist vorzugeben und dies nachweisbar zu dokumentieren. Bei nicht erfolgter bzw. verspäteter Zielvorgabe setzt sich der Arbeitgeber Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers aus, die regelmäßig dem in der Zielvorgabe definierten Bonus bei hundertprozentiger Zielerreichung entsprechen. Dies dürfte gleichermaßen gelten, wenn der Arbeitgeber es versäumt, rechtzeitig eine Zielvereinbarung abzuschließen. Diese Problematik kommt häufig bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Tragen. In der Situation der Beendigung kommen ggf. auch Ansprüche für entferntere Beschäftigungszeiträume zum Tragen, die noch nicht verjährt sind. Gerade solche Ansprüche sind wegen der Schwierigkeiten der Feststellung der damaligen Sachverhalte schwierig.
Die Revision gegen das Urteil ist inzwischen anhängig. In Anbetracht der Bedeutung dieses Themenfeldes bleibt zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht weitere Klarheit und Rechtssicherheit schaffen wird.
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