Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer können Erhöhung ihrer Arbeitszeit nicht erzwingen
Besetzt der Arbeitgeber eine Vollzeitstelle, ohne den gleich geeigneten teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vereinbarten Arbeitszeit äußerte, bei der Auswahl zu berücksichtigen, ist die Erfüllung des Anspruchs auf Erhalt der Vollzeitstelle unmöglich geworden. In einem solchen Fall kann gegen den Arbeitgeber ein Schadensersatzanspruch entstehen, der allerdings nicht zu einer Vertragsänderung i.S. einer Arbeitszeitverlängerung führt, sondern auf einen finanziellen Ausgleich beschränkt ist.
Sachverhalt
Die Klägerin ist seit 1989 bei der Beklagten als seit 2006 in Teilzeit tätige Krankenschwester beschäftigt. Im April 2011 wurde bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 festgestellt. Danach war sie im Umfang von 50 % der Regelarbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt und bekundete im Februar 2015 ihr Interesse an einer Vollzeitstelle. Die Arbeitgeberin besetzte im April 2015 fünf Vollzeitstellen, ohne die Klägerin bei der Auswahl zu berücksichtigen, trotz deren Interesses, Vollzeit zu arbeiten. Über die freien Stellen hatte die Beklagte die Klägerin nicht informiert.
Die Klägerin wollte festgestellt wissen, dass sie gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Form der Zustimmung zur angetragenen Änderung des Vertrages zu einer Vollzeitbeschäftigung hat.
Die Klage vor dem Arbeitsgericht Paderborn (Urteil v. 12. August 2015, Az. 4 Ca 504/15) war erfolgreich. Das Arbeitsgericht verurteilte die Beklagte zur Beschäftigung der Arbeitnehmerin in Vollzeit. Aufgrund der dagegen gerichteten Berufung der Beklagten vor dem LAG Hamm (Urteil v. 10. Dezember 2015, Az. 18 Sa 1307/15) wurde das Urteil abgeändert und die Klägerin auf einen finanziellen Ausgleich verwiesen. Die Revision der Klägerin wurde vom BAG als unbegründet zurückgewiesen (BAG, Urteil v. 18. Juli 2017, Az. 9 AZR 259/16). Das BAG entschied, dass die Beklagte somit nicht dazu verpflichtet werden kann, der Erhöhung der Arbeitszeit der Klägerin zuzustimmen. Unterstellt, die Beklagte habe Schadensersatz zu leisten, besteht dieser nicht in der Abgabe einer den Arbeitsvertrag ändernden Willenserklärung, sondern in einem finanziellen Ausgleich, wenn die Stelle nicht mehr besetzt werden kann.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht auf § 9 TzBfG stützen. Nach dieser Bestimmung hat der Arbeitgeber den Wunsch eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers „bevorzugt" zu berücksichtigen, wenn er freie Arbeitsplätze mit längerer Arbeitszeit anbietet, sofern dem nicht betriebliche Gründe oder Wünsche anderer Mitarbeiter entgegenstehen.
Die Vorschrift räumt dem Arbeitnehmer einen einklagbaren Rechtsanspruch auf die von ihm gewünschte Vertragsänderung ein, soweit er bei der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes trotz seiner Eignung nicht berücksichtigt wird. Aufgrund der Besetzungen der freien Stellen im April 2015 war es der Beklagten allerdings unmöglich geworden, den Anspruch zu erfüllen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LAG, gab es keinen – im Sinne der Erhöhung der Arbeitszeit – freien Vollzeit-Arbeitsplatz mehr. Somit war die Erfüllung des Anspruchs nach §9 TzBfG nicht mehr gegeben und konnte nicht geltend gemacht werden. Der Arbeitgeber kann, so das Gericht, nicht als verpflichtet angesehen werden, zur Erfüllung einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen.
Das BAG stellte zudem fest, dass die Beklagte die Rechtsposition der Klägerin nicht im Sinne von § 162 BGB unredlich vereitelt habe. Dies wäre der Fall, wenn die Klägerin durch die Besetzung der Stelle mit einem anderen Arbeitnehmer den Verlust des Arbeitsverhältnisses ersatzlos hinzunehmen hätte. Vorliegend berührte die Stellenbesetzung das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin allerdings nicht, sie steht auch nicht ohne „Ersatzansprüche" da. Hierbei berief sich die Klägerin auf Grundsätze, die die Rechtsprechung anlegt, wenn im Falle einer Kündigung ein anderer geeigneter Arbeitsplatz besetzt wird, nicht dem Gekündigten übertragen wird, so dass dieser sein Arbeitsverhältnis verliert.
Es kommt jedoch ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte in Betracht, welcher sich wegen der Verletzung der Berücksichtigungsplicht gem. § 9 TzBfG auf die §§ 249 ff. BGB oder wegen einer etwaigen Benachteiligung aufgrund der Behinderung auf § 15 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG stützen kann. Aufgrund des Rechtsgedankens des § 15 Abs. 6 AGG kann die Klägerin allerdings keinen Schadensersatz in Form der Zustimmung zur angetragenen Vertragsveränderung verlangen, also zur Aufstockung der Arbeitszeit, da diese Vorschrift sämtliche Ansprüche ausschließt, die aufgrund einer Benachteiligung den Abschluss oder die Änderung eines Vertrages zum Gegenstand haben. Der Schadensersatz kann hier somit nur in einem finanziellen Ausgleich bestehen.
Diese Wertung wird auch auf die §§ 249 ff. BGB übertragen. Denn der Gesetzgeber könne nicht gewollt haben, dass die Beschränkung auf einen finanziellen Ausgleich nur bei einem diskriminierenden Verhalten des Arbeitgebers gelte, aber nicht bei typischerweise deutlich weniger gewichtigen Verstößen gegen das Berücksichtigungsverbot des § 9 TzBfG.
Fazit
Das Urteil des BAG macht deutlich, dass die Privatautonomie in Form der Auswahlfreiheit des Arbeitgebers einen starken Schutz genießt. Trotz des ausnahmsweise bestehenden Kontrahierungszwangs des § 9 TzBfG besteht selbst dann kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zustimmung zu den Vertragsänderungen, wenn der Arbeitgeber die Unmöglichkeit der Erfüllung des Anspruchs aus § 9 TzBfG zu vertreten hat. Denn die Wertung des § 15 Abs. 6 AGG schränkt den Grundsatz der Naturalrestitution über den Diskriminierungsschutz hinaus ein.
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