Wiedereinführung der Stechuhr? Laut EuGH müssen geleistete Arbeitszeiten genau erfasst werden
Sachverhalt
Zu der Entscheidung kam es, nachdem eine spanische Gewerkschaft vor dem nationalen Gerichtshof in Spanien ein Unternehmen der Deutschen Bank Gruppe verpflichten wollte, die täglich geleisteten Arbeitsstunden der Arbeitnehmer vollständig zu erfassen, nicht nur Überstunden. Sie argumentierte, dass sich nur so überprüfen lasse, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten würden. Derzeit würden laut einer Umfrage in Spanien im Jahr 2006 unter der erwerbstätigen Bevölkerung 53,7 Prozent der Überstunden nicht erfasst werden. Eine umfassende Dokumentation sei aber aufgrund der im EU-Recht zugesicherten Arbeitnehmerrechte geboten.
Der Nationale Gerichtshof Spaniens legte den Streit dem EuGH vor. Dort bestätigten die Richter die Auffassung der klagenden Gewerkschaft.
Hintergrund
Der EuGH entschied, dass Arbeitgeber verpflichtet werden müssten, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System" zur Arbeitszeiterfassung einzurichten.
Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass die EU-Grundrechtecharta den Arbeitnehmern in der EU ein Grundrecht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten zuspricht. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG), die vereinzelt dieses Grundrecht konkretisiert, sei im Lichte der Grundrechte-Charta auszulegen und dürfe nicht zu Lasten der Rechte, die den Arbeitnehmern aus dieser Richtlinie zustehen, restriktiv ausgelegt werden. Daraus würden sich Mindestvorschriften ergeben, die das Ziel verfolgen, durch vorgeschriebene Mindestruhezeiten und Höchstarbeitszeiten den Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu gewährleisten.
Die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit der Richtlinie wird der Bestimmung durch die Mitgliedstaaten selbst überlassen. Gefordert werden die insoweit „erforderlichen" Maßnahmen, die eine Aushöhlung der in der Grundrechte-Charta verankerten Rechte verhindern, so die Richter des EuGH. Um eine solche Aushöhlung zu vermeiden und die praktische Wirksamkeit der von der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgesehenen Rechte zu gewährleisten, sei somit erforderlich, dass die Einhaltung der Arbeitszeitregelungen objektiv überprüft werde. Die Mitgliedstaaten müssten daher verpflichtet werden entsprechende „objektive, verlässliche und zugängliche Systeme" einzurichten, die dafür geeignet seien eine korrekte Ermittlung der geleisteten Arbeitszeit, ihrer zeitlichen Verteilung und der Zahl der Überstunden sicherzustellen.
Dies stehe auch in Einklang mit der Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 89/391, die die Gewährleistung des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zum Ziel hat.
Weiterhin stützt der EuGH seine Begründung auf die Tatsache, dass die Durchsetzung von Rechten seitens der Arbeitnehmer, als im Arbeitsverhältnis strukturell unterlegene Partei, äußerst schwierig sei und sie somit daran gehindert seien in den Genuss der Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit sowie der vorgesehen täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten zu kommen.
Die Bestimmung der konkreten Art der nationalen Umsetzung soll allerdings weiterhin den EU-Mitgliedstaaten obliegen. Besonderheiten der jeweiligen Tätigkeitsbereiche und Eigenheiten bestimmter Unternehmen bleiben dabei berücksichtigungsfähig.
Fazit
In Deutschland regelt das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bisher nur eine Pflicht zur Aufzeichnung von Überstunden, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehen. Eine weiterreichende umfangreiche Dokumentationspflicht gibt es bislang aber nicht. Vielmehr ist hierzulande die Praxis der Vertrauensarbeit bereits in vielen Betrieben – gerade auch als besonders fortschrittliches Modul – üblich, aber natürlich nicht überall. „Stechuhren" und andere gerade IT basierte Systeme zur genauen Zeiterfassung gibt es nicht selten. Das Urteil könnte somit umfassende Folgen für den Arbeitsalltag haben. Ob diese durch die gewollte Transparenz der Arbeitszeiten und Überstunden Vorteile bringt oder in Zeiten der immer flexibler werdenden Arbeitswelt 4.0 einen gefühlten Rückschritt bedeuten, wird vermutlich für reichlich Diskussionsstoff sorgen.
Es kann aber nicht gesagt werden, dass nun die „Stechuhr" reaktiviert wird. Der EuGH hat gerade solche Fragen der Gestaltung der Systeme offen gelassen, auch darauf hingewiesen, dass Größe und Eigenart des Betriebes berücksichtigt werden müssen. Dies bedeutet nun in erster Linie einen Auftrag an den Gesetzgeber, aber auch an den Arbeitgeber, für ihren konkreten Betrieb mögliche Aufzeichnungssysteme zu prüfen.
Artikel als PDF speichern