Keine überholende Kündigung wegen Abkehrwillens
Wer kündigt, tut kund, dass er sich von der anderen Partei bzw. dem Vertrag lossagen will. Aber niemand ist gezwungen, exakt an den Tag zu kündigen, zu dem er letztmalig zu dem gewünschten Beendigungsdatum kündigen kann. Wer also zum 31. März das Arbeitsverhältnis kündigen will, muss nicht erst – bei zweimonatiger Frist – Ende Januar kündigen, sondern kann es auch früher tun. In folgendem Fall hat das Arbeitsgericht Siegburg mit Urteil vom 17. Juli 2019 (Az. 3 Ca 500/19) in einem Kündigungsschutzverfahren einem Arbeitgeber die Kündigung aufgrund des Abkehrwillens des Arbeitnehmers versagt. Der Arbeitgeber hatte nach Zugang der Kündigung des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis seinerseits zu einem früheren Datum fristgemäß gekündigt.
Sachverhalt
Der klagende Arbeitnehmer war seit 1. Januar 2016 als Steuerungstechniker bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt und seit dem 1. November 2017 Leiter des Teams „Steuerungstechnische Hardwareplanung". Am 22. Januar 2019 reichte er seine Kündigung zum 15. April 2019 ein, da er sich nach seiner Kur im März und April neuen Aufgaben widmen wollte. Dies nahm die Beklagte zum Anlass, am 31. Januar 2019 selbst eine ordentliche Kündigung zum 28. Februar 2019, also mit der kürzest möglichen Frist, auszusprechen in Kombination mit einer sofortigen Arbeitsfreistellung unter Anrechnung der Resturlaubstage und geleisteten Überstunden. Die Stelle sollte nämlich möglichst schnell wieder besetzt werden. Vom 4. Februar 2019 bis zum 11. März 2019 war es dem Kläger wegen Rückenschmerzen unmöglich zu arbeiten. Mit der am 5. Februar erhobenen Klage wendete er sich gegen die Kündigung und verlangte Schadensersatz wegen Annahmeverzug und Entgeltfortzahlung für März und die erste Hälfte des Aprils.
Entscheidung
Das Gericht hat dem Kläger alle Ansprüche zugesprochen. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber muss sich auch hier am Kündigungsschutzgesetz messen lassen, das eine soziale Rechtfertigung für die Kündigung einfordert. Es ist zwar durch das Bundesarbeitsgericht unter anderem im Urteil vom 22. Oktober 1964 (Az. 5 AZR 515/63) anerkannt worden, dass der geäußerte Abkehrwille des Arbeitnehmers im Ausnahmefall eine sog. betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen kann: Nämlich dann, wenn Schwierigkeiten in der Nachbesetzung zu erwarten sind und der Arbeitgeber nicht mehr zuwarten kann bis das ursprüngliche Arbeitsverhältnis endet, was insbesondere geboten sein kann, wenn der genaue Ausscheidungstermin des Arbeitnehmers noch unklar ist, aber möglicherweise kurz bevorsteht.
Der Kündigungszeitpunkt war im vorliegenden Fall jedoch auf den 15. April terminiert. Es wurde auch nicht von der Beklagten vorgetragen, dass die zur Verfügung stehende Nachfolgerin die Stelle nicht zum 16. April übernehmen könne. Im Gegenteil war die Nachfolgerin sogar bereits Teil des Unternehmens. Eine betriebsbedingte Kündigung scheidet also aus.
Genauso wenig kann der Arbeitgeber auf eine verhaltensbedingte Kündigung zurückgreifen, denn wie eingangs erwähnt, überlässt das Recht einem die Möglichkeit, seinen Abkehrwillen kundzutun. Deswegen stellt der Abkehrwille genau wie die Zeit in krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Kur auch keine Pflichtverletzung dar.
Fazit
Wo das KSchG gilt, müssen Arbeitgeber dessen enge Grenzen respektieren. Zwar hätte das Urteil im Lichte der Entscheidung des BAG aus dem Jahre 1964 anders lauten können, wenn der Arbeitnehmer lediglich seinen unkonkreten Willen geäußert hätte, das Unternehmen zu verlassen und für die frei werdende, schwer zu besetzende Stelle eine nur kurzzeitig mögliche Nachfolge bestanden hätte. Es ist aber nicht garantiert, dass diese alte Rechtsprechung bestehen bleibt, denn eine betriebsbedingte Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn eine unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers zum Wegfall der betroffenen Stelle führt. Hier rührt die Situation aber aus der Sphäre des Arbeitnehmers und die Stelle fällt nicht weg, sie wird nur frei. In vielen Fällen – bei qualifizierten Kräften – mag der Arbeitgeber aber durchaus für eine frühzeitige (An)Kündigung dankbar sein, um die erfahrungsgemäß lange Suche nach einem Ersatz einleiten zu können.
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