Betriebsvereinbarungen, deren Wirksamkeit von einer Zustimmung eines Quorums der Belegschaft abhängig gemacht werden, sind unwirksam
Betriebsvereinbarungen werden von Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossen und wirken unmittelbar zwingend für alle Arbeitnehmer, die in deren Geltungsbereich fallen. Der Betriebsrat ist durch die Betriebsratswahl als Interessenvertretung der Belegschaft zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen auch besonders legitimiert. Einer gesonderten Zustimmung der Belegschaft zu der Betriebsvereinbarung bedarf es daher nicht. Doch können die Betriebsparteien vereinbaren, dass eine Betriebsvereinbarung erst dann wirksam werden soll, wenn ein bestimmter prozentualer Anteil der Belegschaft dieser zugestimmt hat? Also ein Stück „Basisdemokratie" im Betrieb? Mit einer solchen Frage hatte sich das BAG in seinem Beschluss vom 28. Juli 2020, Az. 1 ABR 4/19, zu beschäftigen.
Der Sachverhalt
Antragsteller ist der Betriebsrat eines Logistikdienstleisters. 2007 schlossen Arbeitgeberin und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zu variablen Vergütungsbestandteilen der im Lager beschäftigten Arbeitnehmer. Diese sollte unter der Bedingung in Kraft treten, dass ihr „80 % der abgegebenen Stimmen" der in ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer bis zum Ablauf einer von der Arbeitgeberin gesetzten Frist „einzelvertraglich" schriftlich zustimmen. Sollte das Zustimmungsquorum unterschritten werden, konnte die Arbeitgeberin „dies" dennoch für ausreichend erklären, wenn die Zustimmungsquote mindestens 60% betrug.
In der Folgezeit kam es zu zahlreichen Meinungsverschiedenheiten wegen der zu zahlenden Vergütungen. Letztendlich hatten 87% der betroffenen Mitarbeiter des Betriebsteils„Lager" der Betriebsvereinbarung zugestimmt.
Der Betriebsrat begehrte die Feststellung der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Betriebsrats ab. Hiergegen wandte sich der Betriebsrat im Wege einer Rechtsbeschwerde erfolgreich an das BAG.
Die Entscheidung des BAG
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats vor dem BAG war erfolgreich. Die normative Wirkung einer Betriebsvereinbarung kann, so der Beschluss des BAG, zudem bislang nur eine Pressemitteilung vorliegt, nicht von einem Zustimmungsquorum der Belegschaft abhängig gemacht werden. Eine solche Regelung widerspreche den Strukturprinzipien der Betriebsverfassung, wonach der gewählte Betriebsrat Repräsentant der Belegschaft sei. Er werde als Organ der Betriebsverfassung im eigenen Namen kraft Amtes tätig. Weder sei er an Weisungen der Arbeitnehmer gebunden noch bedürfe sein Handeln deren Zustimmung. Eine von ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarung gelte kraft Gesetzes unmittelbar und zwingend. Damit gestalte sie unabhängig vom Willen oder der Kenntnis der Parteien eines Arbeitsvertrags das Arbeitsverhältnis und erfasse auch später eintretende Arbeitnehmer. Das schließe es aus, die Geltung einer Betriebsvereinbarung an das Erreichen eines Zustimmungsquorums verbunden mit dem Abschluss einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zu knüpfen.
Fazit
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Betriebsvereinbarungen nicht von formalen Zustimmungen der Belegschaft abhängig gemacht werden dürfen. Der Betriebsrat soll insoweit unabhängig handeln können. Er soll sich sein eigenes Meinungsbild verschaffen und Lösungen erarbeiten. Dies ist seine Verantwortung, die er nicht „in die Belegschaft" wegdelegieren kann. Der Betriebsrat ist und bleibt damit der einzige Verhandlungspartner für den Arbeitgeber, wenn es um den Abschluss einer Betriebsvereinbarung geht. Dem ist auch zuzustimmen, denn der Betriebsrat ist über die Betriebsratswahl bereits hinreichend zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen legitimiert. Ein Abhängigmachen der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung von der Zustimmung der Belegschaft liefe dieser betriebsverfassungsrechtlichen Position zuwider. Die Position und Stellung des Betriebsrats würden geschmälert. Die Einführung von Abstimmungen in der Belegschaft zu Betriebsvereinbarungen könnte gegebenenfalls zu „Nebenwahlkämpfen" zu Betriebsvereinbarungen mit eventuellen Auswirkungen auf das Betriebsklima führen. Verzögerungen wären ebenfalls die Folge.
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