„Glück auf" bei der Massenentlassungsanzeige oder die „Tücke" mit dem richtigen Gremium
Am 21. Dezember 2018 war endgültig „Schicht im Schacht": Mit der Stilllegung des Bergwerks Prosper-Haniel wurde auch die Steinkohleförderung in Deutschland gänzlich eingestellt. Das Ende einer Ära – insbesondere auch für die dort beschäftigten Bergmänner. Es kam zur Massenentlassung und einer Flut von Kündigungsschutzklagen. Das LAG Düsseldorf hat mit Urteil vom 15. Oktober 2020, Az. 11 Sa 799/19 das erste Verfahren in dieser Instanz entschieden. Im Fokus: Wieder einmal die Massenentlassungsanzeige und Zuständigkeiten.
Der Sachverhalt
Der Kläger war seit dem 1. September 1997 als Arbeiter unter Tage bei der Beklagten, der Ruhrkohle AG, auf dem Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop beschäftigt. Seit der Einstellung der Kohleförderung im Herbst 2018 erfolgten nur noch Aufräumungsarbeiten. Für die sich daran anschließenden sog. Ewigkeitsarbeiten (insb. die Grundwassersicherung) war und ist ein anderer Betrieb der Beklagten zuständig. Da nicht alle Bergleute in diesen Betrieb transferiert werden konnten, kam es zu einer Entlassung, die auf Grund der Vielzahl der betroffenen Arbeitnehmer eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erforderlich machte. Bereits 2015 wurde die Schließung im Rahmen eines mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Interessenausgleichs verhandelt. Der Gesamtbetriebsrat war deswegen für den Interessenausgleich zuständig, weil die Schließung und die damit verbundenen Maßnahmen mehrere Betriebe betrafen. Im Januar 2019 wurde sodann mit dem örtlichen Betriebsrat ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen, auf der der Name des Klägers stand. Mit Schreiben vom 3. Juni 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2019. Das Arbeitsgericht Essen wies die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage ab. Hiergegen wandte sich der Kläger im Wege der Berufung an das LAG Düsseldorf.
Die Entscheidung des LAG
Das LAG Düsseldorf gab der Berufung des Klägers teilweise statt und erklärte die Kündigung für unwirksam. Die im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultation des Betriebsrats – nicht zu verwechseln mit dem Interessenausgleich – sei mit dem örtlichen Betriebsrat durchgeführt worden, der jedoch unzuständig sei. Vielmehr sei der Gesamtbetriebsrat zuständig gewesen, da die Maßnahme auf einem einheitlichen unternehmerischen Gesamtkonzept basiere. Dieses erstrecke sich über mehrere Betriebe und bedürfe deshalb einer einheitlichen Regelung. Es sei nicht nur der Betrieb des Bergwerks geschlossen worden. Vielmehr habe man zusätzlich entschieden, von wo aus und mit welchen Arbeitnehmern die Ewigkeitsarbeiten von einem anderen Betrieb aus erledigt werden sollen. Die Schließung des Bergwerks sei damit nur ein Teil eines unternehmerischen Gesamtkonzepts gewesen. Einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung des Klägers verneinte dagegen das LAG Düsseldorf – vermutlich wegen nicht vorhandener Weiterbeschäftigungsmöglichkeit.
Einordnung und Fazit
Die Entscheidung zeigt erneut, dass die Entlassung einer Vielzahl von Arbeitnehmern und die damit zusammenhängenden Zuständigkeiten im Verhandlungsprozess und damit auch die Massenentlassungsanzeige in ihrer Komplexität nicht zu unterschätzen ist. Falsche Annahmen können hier gravierende wirtschaftliche Auswirkungen haben. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat bei beabsichtigten anzeigepflichtigen Entlassungen vorab zu beteiligen. Zum einen muss er, wenn die Schwellenwerte erreicht sind, einen Interessenausgleich nach §§ 111,112 BetrVG verhandeln. Ohne den Versuch einer Einigung ist die Durchführung der Maßnahme nicht zulässig. Zum anderen hat er das gesondert zu betrachtende Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG durchzuführen, das mit dem Interessenausgleich nicht identisch ist, obwohl es inhaltlich nahezu gleichartig ist. Praktischerweise wird dieses Verfahren im Rahmen des Interessenausgleichs mit erledigt, was hier offensichtlich aber nicht der Fall war. Vorab muss der Arbeitgeber jedoch identifizieren, wenn mehrere Betrieb betroffen sind, welches Gremium zuständig ist. Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit beim örtlichen Betriebsrat, es sei denn – und das zeigt dieser Fall sehr eindrücklich – der Personalabbau beruht auf einem unternehmenseinheitlichen Konzept. Dann ist – zwingend – der Gesamtbetriebsrat zuständig. Schon der „falsche Einstieg" kann die ganze Maßnahme zu Fall bringen, auch wenn der Interessenausgleich und das Konsultationsverfahren als solche nicht zu beanstanden sind. Wenn der Arbeitgeber hier unsicher ist, sollte dies mit den Gremien besprochen werden. Hilfsweise können die Betriebsräte ihre Zuständigkeit auf den Gesamtbetriebsrat delegieren, was diesen häufig wegen der Komplexität der Sache auch recht ist.
Die Beteiligung des (richtigen) Betriebsrats ist eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für die beabsichtigten Kündigungen. Erfolgt die Konsultation des falschen Gremiums, sind die anschließend ausgesprochenen Kündigungen – wegen einer falschen Massenentlassungsanzeige – unwirksam. Für die Verfahren der übrigen Bergleute ist folglich mit einem ähnlichen Verfahrensausgang zu rechnen.
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