BAG: Verjährung von Urlaubsansprüchen?
Erneut muss der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Frage zum Urlaubsrecht klären: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) möchte wissen, ob es mit europäischem Recht vereinbar wäre, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der Verjährung unterläge.
Der Sachverhalt
Die klagende Arbeitnehmerin war von 1996 bis 2017 bei dem beklagten Ex-Arbeitgeber als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Sie hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. Mit Schreiben aus 2012 bescheinigte der Ex-Arbeitgeber der Arbeitnehmerin, dass der Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in seiner Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Ex-Arbeitgeber der Arbeitnehmerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub.
Mit der Klage verlangte die Arbeitnehmerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahre 2017 und den Vorjahren. Im Raum stand ein Anspruch von nahezu EUR 23.000. Im Verlauf des Prozesses erhob der Ex-Arbeitgeber die Einrede der Verjährung und machte geltend, dass für die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Arbeitnehmerin verlange, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen sei. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf folgte dieser Auffassung nicht, gab der Klage statt und verurteilte den Ex-Arbeitgeber zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016. Zur Begründung führte es aus, dass das deutsche Recht (nur) dann richtlinienkonform angewendet werde, wenn der Urlaubsanspruch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfülle, überhaupt nicht verjähre (LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.02.2020, Az.: 10 Sa 180/19). Die Rechtsprechung, die einen Verfall des Urlaubsanspruchs an die Erfüllung von Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers knüpfe, führe dazu, dass Urlaubsansprüche in solchen Fällen auch nicht verjährten. Dabei ist die rechtsdogmatische Herleitung dieses Ergebnisses in Rechtsprechung und Literatur, soweit sie die Anwendung der Verjährungsregeln annimmt, umstritten.
Die Anfrage des Bundesarbeitsgerichts
Das BAG hat nun den EuGH um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gleichwohl der Verjährung unterliegt (BAG, 29.09.2020, AZ 9 AZR 266/20A).
Fazit und Anmerkungen
Das BAG hat noch einmal bestätigt, dass die Urlaubsansprüche nicht verfallen, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen ist. Das BAG hatte – wiederum folgend dem EuGH (Urt. v. 6. November 2018, C-684/16)¬ – in seinem Urteil vom 19. Februar 2019 ( 9 AZR 541/15) bekanntlich entschieden, dass der Verfall zumindest des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs voraussetze, dass der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nachkomme. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, den Arbeitnehmer auf ausstehenden Urlaubsanspruch und dessen möglichen Verfall hinzuweisen. Andernfalls käme ein Verfall zumindest bzgl. des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs nicht in Betracht.
Anders als das LAG scheint das BAG hingegen die Möglichkeit der Verjährung eines nicht verfallenen Urlaubsanspruchs nicht ausschließen zu wollen. Es sieht sich jedoch wegen der europarechtlichen Relevanz der Frage veranlasst, diese Frage dem EuGH vorzulegen, um sicherzustellen, dass eine mögliche Entscheidung in dieser Rechtsfrage nicht mit europäischem Urlaubsrecht in Widerspruch steht.
Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass europäisches Recht der Anwendbarkeit der Regelverjährung nicht entgegensteht, würde dies auch die Bedeutung der richtlinienkonformen Auslegung von § 7 BUrlG deutlich abschwächen. Denn Arbeitgebern, die ihrer Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen sind, könnten dann für ältere Urlaubsansprüche die Einrede der Verjährung erheben. Dies wäre insoweit begrüßenswert, weil somit – wie im hier zu entscheidenden Fall – sich über Jahre aufbauende Urlaubsansprüche, derer sich der Arbeitnehmer in der Regel bewusst sein dürfte, nicht am Ende des Arbeitsverhältnisses in unerwartete finanzielle Forderungen verwandeln. Da der Urlaubserstattungsanspruch finanziellen Charakter hat, wenn er wegen des Endes des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in natura gewährt werden kann, wäre es nachvollziehbar, dass zumindest hier Verjährungsvorschriften wie auch bei anderen finanziellen Ansprüchen zum Tragen kommen.
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