Können heißt nicht müssen: Keine Pflicht des Betriebsrates Betriebsversammlungen virtuell durchzuführen
Gerade in größeren Betrieben mit vielen Mitarbeitern ist es zum Teil schwierig, Räumlichkeiten für Betriebsversammlungen zur Verfügung zu stellen, in denen insbesondere die Abstandsregelungen nach den jeweiligen Coronaverordnungen gewahrt werden können. Sofern hierzu Räumlichkeiten außerhalb des Betriebes angemietet werden müssen, ist dies zum Teil mit erheblichen Kosten für den Arbeitgeber verbunden. Es stellt sich daher die Frage, ob Arbeitgeber unter Verweis auf § 129 BetrVG die Durchführung audiovisueller Betriebsversammlungen verlangen können. Mit dieser Frage beschäftigte sich das LAG in einem Eilverfahren (Beschluss vom 5.Oktober 2020 – 13 TaBVGa 16/20):
Sachverhalt
Die Beteiligten stritten während der Corona-Pandemie im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Pflicht des Arbeitgebers die Kosten einer außerhalb des Betriebs stattfindenden Betriebsversammlung zu tragen.
Der Arbeitgeber ist Träger einer Sportklinik, in der bis zu 360 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Aufgrund der Corona-Pandemie fand im ersten Halbjahr des Jahres 2020 keine Betriebsversammlung statt. Auf Anraten des zuständigen Gesundheitsamtes unter dem Eindruck eines damaligen Ausbruchsgeschehens (Tönnies) verzichtete der Betriebsrat zunächst auch im zweiten Quartal des Jahres 2020 auf die Durchführung einer Betriebsversammlung. Auf eine spätere Anfrage teilte der zuständige Amtsarzt mit, dass zwar keine formalen Hinderungsgründe aus der Coronaschutzverordnung NRW entgegenstehen würden, aber dennoch ein Verzicht auf Vor-Ort-Präsenz zu Gunsten alternativer Medienformate empfohlen werde. Der Betriebsrat entschied sich dennoch für die Durchführung der Präsenzveranstaltung und forderte den Arbeitgeber zur Kostenübernahme auf. Der Arbeitgeber hielt die Durchführung insbesondere im Hinblick auf den Gesundheitsschutz und das Infektionsrisiko nicht für vertretbar und vertrat die Ansicht, dass Betriebsversammlungen nach § 129 Abs. 3 BetrVG aus Anlass der Covid-19-Pandemie per Videokonferenz durchzuführen seien. Ein vom Betriebsrat begehrtes Konzept zur Durchführung einer Betriebsversammlung auf digitalem Wege, verweigerte er mit dem Hinweis, dass es sich um eine Veranstaltung des Betriebsrats handele und dies daher nicht möglich sei. Gleichzeitig bot er einen weiteren Austausch an und verweis auf die Nutzung von Microsoft Teams oder Zoom. Der Betriebsrat begehrte daraufhin gerichtlich einen Auslagenvorschuss von bis zu EUR 8.400 für die Abhaltung von bis zu drei Teilversammlungen im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2021 in einer betriebsexternen Räumlichkeit. Dabei wies er darauf hin, dass die Betriebsversammlung unter Beachtung der Coronaschutzverordnung NRW sicher durchgeführt werden könne und dass eine Präsenzveranstaltung immer Vorrang vor der digitalen Durchführung habe.
Entscheidung
Während das Arbeitsgericht die Auffassung des Arbeitgebers teilte, hielt das LAG Hamm einen Verfügungsanspruch des Betriebsrates auf Zahlung von bis zu EUR 8.400,00 für die Abhaltung von bis zu drei Teilversammlungen im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2020 für gegeben.
Nach dem Gesetz ist der Betriebsrat verpflichtet, einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen und ggf. auch Teilversammlungen abzuhalten. Ferner muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat hierfür auf seine Kosten angemessen ausgestattete Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, gegebenenfalls auch außerhalb des Betriebs. Sofern er dem nicht nachkomme, bestehe ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Vorschusses. Zwar wurde aufgrund der Pandemie-Lage – zeitlich befristet – die Möglichkeit eröffnet, solche Versammlungen auch mittels audiovisueller Einrichtungen durchzuführen, dabei sei jedoch zu beachten, dass dem Betriebsrat durch das Wort „können" ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wurde, den er unter Beachtung des „Ausgangsleitbildes" einer Präsenzveranstaltung mit physischer Anwesenheit der Teilnahmeberechtigten vor Ort sachgerecht auszufüllen habe. Sofern sich der Betriebsrat vor diesem Hintergrund im konkreten Fall unter Beachtung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben zum Infektionsschutz bei einer Belegschaftszahl von ca. 360 Arbeitnehmern für die Durchführung von bis zu drei Teilversammlungen außerhalb des Betriebs entschiede, bewege er sich damit in dem ihm gesetzlich eröffneten Beurteilungsspielraum. Hinzu kam, dass der pauschale Verweis des Arbeitgebers auf die Nutzung von Microsoft Teams und Zoom nicht ausreichte, um den Fall ggf. anders zu beurteilen. Der Arbeitgeber hätte vielmehr konkret aufzeigen müssen, wie genau eine Betriebsversammlung unter Einsatz welcher dem Arbeitgeber zur Verfügung stehender technischer Hilfsmittel in audiovisueller Form unter Wahrung der Vertraulichkeit hätte stattfinden sollen. Auch der gesundheitliche Schutz konnte durch Einhaltung der Vorgaben der im Zeitpunkt der Entscheidung gültigen Coronaverordnung des Landes NRW gewahrt werden.
Praxishinweis
Die bislang ergangene Rechtsprechung überlässt dem Betriebsrat die Entscheidung, ob er vor Ort oder mittels alternativer Medienformen tagt, so dass der Arbeitgeber wohl nicht unter Berufung auf § 129 BetrVG die kostengünstigere Durchführung audiovisueller Sitzungen verlangen kann. Bei der Beurteilung sind jedoch auch die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Wenn Arbeitgeber unter Berücksichtigung der konkreten (auch räumlichen) Verhältnisse im Betrieb ein detailliertes Konzept für die Durchführung audiovisueller Betriebsversammlungen vorlegen können, ist ggf. eine andere Beurteilung geboten. Sofern auf außerhalb des Betriebes gelegen Räumlichkeiten ausgewichen werden muss, sollten Arbeitgeber in jedem Fall sehr genau prüfen, ob die Kosten für die Anmietung der Räumlichkeiten angemessen sind oder zuverlässige günstigere Alternativen zur Verfügung stehen.
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