„Heiligt der Zweck die Mittel?"
- Die außerordentliche Kündigung des Hinweisgebers -
- Die außerordentliche Kündigung des Hinweisgebers -
Der Sachverhalt
Die Beklagte gehört zum Kirchenkreis „K". Dieser wird vertreten durch „T", welcher Vorgesetzter des Pastors „D" ist. Die Klägerin ist mit Verwaltungsaufgaben bei der Beklagten betraut. Daher durfte sie auch auf den Dienstcomputer von Herrn D zugreifen. Als sie den Computer nach einer Rechnung durchsuchte, stieß sie zufällig auf eine E-Mail von Herr T an Herrn D, in welcher Herr D informiert wurde, dass ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei wegen des Verdachts von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten gegenüber Frau B. Frau B befand sich seinerzeit im Kirchenasyl der Beklagten und stand in einem regelmäßigen Austausch mit Herrn D. Gegen Herrn D wurde wegen des Verdachts ermittelt, dass er Frau B unter Missbrauch seiner einflussreichen Position in der Gemeinde mit dem Ziel der Aufnahme einer Liebesbeziehung bedrängt und mit sexueller Motivation in übergriffiger Weise berührt haben könnte.
Die Klägerin speicherte die E-Mail sowie einen privaten Chatverlauf zwischen D und B auf einem USB-Stick und übergab diesen der Staatsanwaltschaft und einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin der Kirchengemeinde.
Die Klägerin wusste, dass Frau B unter erheblichen psychischen Problemen litt und sich im Zwiespalt befand, da sie einerseits die Avancen von Herrn D abwehren, andererseits ihren Status als Flüchtling im Kirchenasyl nicht gefährden wollte.
Eine Beurlaubung von Herrn D wurde im September 2020 aufgehoben. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Herrn D wurde ebenfalls im September 2020 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit Schreiben vom 24. September 2020 kündigte die Beklagte, vertreten durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Presbyteriums und den Finanzkirchmeister, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos.
Die Entscheidung
Die 8. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen gab der Klage mit Urteil vom 22. April 2021 (8 Ca 3432/20) statt. Es führte dabei an, dass die gezielte Durchsuchung eines Dienstcomputers nach privater Korrespondenz sowie deren Sicherung und Weitergabe an Dritte „an sich" ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung sein kann. Dies gelte grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer dabei Beweise für ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren sichern möchte, ohne von seinem Arbeitgeber mit solchen Ermittlungen betraut worden zu sein.
Ob eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung wirksam sei, müsse jedoch anhand einer Abwägung des Beendigungsinteresses des Arbeitgebers mit dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers im Einzelfall festgestellt werden. Dabei sei insbesondere die Schwere und die Auswirkungen des Verstoßes, die Motive des Arbeitnehmers, der Verzicht auf interne Abhilfeschritte, der Grad des Verschuldens, die Wiederholungsgefahr und die Dauer des beanstandungsfreien Bestandes des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Einzelfall hielt die Kammer eine Abmahnung für eine angemessene Reaktion des Arbeitgebers und die außerordentliche fristlose Kündigung dementsprechend für unverhältnismäßig.
Praxishinweis
Die Entscheidung zeigt, dass die externe Weitergabe von Informationen zum Fehlverhalten von Kollegen bzw. hier Vorgesetzten ein sensibles Thema ist. Denn die rechtswidrige Datenweitergabe, insbesondere an externe Stellen, wie gerade die Staatsanwaltschaft ist eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und geeignet an sich einen fristlosen Kündigungsgrund darzustellen. Insbesondere ist immer auch darauf zu achten, dass vor Weitergabe an Dritte erst interne Prüfungen eingeleitet werden müssen, direkte Weitergabe nach außen nur in Ausnahmefällen gerade nach ergebnislosen internen Verfahren in Betracht kommt. Allerdings sind die konkreten Umstände des Einzelfalls vom Arbeitgeber sorgfältig aufzuarbeiten, um dann verhältnismäßig reagieren zu können. Dieses Feld ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber derzeit von hoher Unsicherheit geprägt. Der Arbeitnehmer riskiert bei der Informationsweitergabe eventuell seinen Arbeitsplatz, der Arbeitgeber die Unwirksamkeit einer Kündigung.
Hinweisgebern soll zukünftig jedoch mehr Schutz bei Verstoßmeldungen zukommen. Die Bundesregierung hat noch bis zum Ende des Jahres Zeit, eine entsprechende EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Diese Gesetzgebung wird Unternehmen die Verpflichtung auferlegen, auch einen institutionalisierten Rahmen für solche Hinweise aufzubauen, was in Großunternehmen vielfach schon der Fall ist.
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