Initiativrecht des Betriebsrates bei elektronischer Zeiterfassung
Rechtlicher Hintergrund
Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) räumt dem Betriebsrat - sofern vorhanden - verschiedene Beteiligungsrechte ein, um betriebliche Rechte der Arbeitnehmer wahrzunehmen. Die Rechte lassen sich grob in Mitwirkungsrechte, die z.B. eine bloße Information an den Betriebsrat bzw. dessen Anhörung beinhalten, Konsultationsrechte und Mitbestimmungsrechte, bei denen es einer Zustimmung durch den Betriebsrat bedarf, unterscheiden. In den Fragen, in denen es der Vereinbarung mit dem Betriebsrat bedarf, kann es zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen kommen, insbesondere bei Fragen der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG. Ggf. kann der Betriebsrat die Regelung gewisser Belange sogar eigeninitiativ voranbringen, hat also nicht Initiativen des Arbeitgebers abzuwarten. Insoweit hat der Betriebsrat auch Gestaltungsrecht.
Nach §87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat bei „Einführung und Anwendung" von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitzubestimmen. Dazu gehören insbesondere Systeme, die die Arbeitszeit von Mitarbeitern erfassen. Kann der Betriebsrat – darum ging es hier – selbst die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung verlangen?
Sachverhalt
Dem Verfahren vor dem LAG Hamm lag der Streit zwischen den Betreibern einer vollstationären Wohneinrichtung zur Eingliederungshilfe und dem dortigen Betriebsrat über die Aufzeichnung der Arbeitszeit der Beschäftigten zugrunde.
Bereits Ende 2017 hatte der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Rohfassung einer Betriebsvereinbarung zum Thema der Zeiterfassung zukommen lassen und elektronische „Stempeluhren" für die Einrichtung angeschafft. Dennoch verwarf der Arbeitgeber das Vorhaben im Mai 2018 wieder und brach die Verhandlungen ab.
Nach Abbruch der Verhandlungen über die „BV Zeiterfassung" leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung" ein. Die Arbeitgeber rügten die Zuständigkeit der Einigungsstelle unter Hinweis darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschl. vom 28. November 1989, 1 ABR 97/88) bei Einführung einer technischen Einrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht des Betriebsrates nicht bestehe.
Daher wurde das Einigungsstellenverfahren ausgesetzt, um die Zuständigkeit dieses Rechts gerichtlich zu klären. Während das Arbeitsgericht Minden dem Betriebsrat kein Initiativrecht in der Sache zusprach und sich dabei auf die vom Arbeitgeber zitierte bisherige Rechtsprechung des BAG berief, bekam der Betriebsrat in zweiter Instanz Recht.
Entscheidung
In ihrem viele – auch europarechtliche – Fragen abhandelnden Beschluss verwies die 7. Kammer des LAG zunächst darauf, dass es übereinstimmende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sei, „dass im Sinne eines Mitgestaltungsrechtes grundsätzlich auch dem Betriebsrat die Initiative zukommen kann, in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen".
Außerdem, so die Kammer, habe der Gesetzgeber bei den Mitbestimmungsrechten des § 87 BetrVG einzelne Sachverhalte bewusst so geregelt, dass dort „lediglich Form-, Ausgestaltung und deren Verwaltung mitbestimmungspflichtig sind", nicht aber die Entscheidung selbst. Entsprechend gebe es in jenen Fällen auch kein Initiativrecht des Betriebsrates. Insoweit verwies es auf § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG bzgl. Sozialeinrichtungen. „Genau eine solche Einschränkung" aber „finde sich in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht", betonten die Richter. Vielmehr sei „dort ausdrücklich die Einführung" solcher Systeme genannt. Daher stehe dem Gremium entsprechend ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zu.
Praxishinweis
Das LAG weicht von der ständigen Rechtsprechung des BAG ab, weswegen eine Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen wurde.
Bereits der EuGH hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten – in Bezug auf die Arbeitszeitrichtlinien – Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung" einzurichten. Derlei hat die deutsche Gesetzgebung noch nicht umgesetzt.
In diesem Zusammenhang kann dieser Beschluss des LAG gesetzt werden. Eine Erfassung der Arbeitszeit verlangt auch dazugehörige Systeme. In Betrieben mit Betriebsrat kann es daher künftig zu Veränderungen kommen, wenn der Betriebsrat im Sinne der Prüfung der Einhaltung der Bestimmung des Arbeitszeitgesetzes die Einführung solcher Systeme verlangt. Eine Frage, welche Bedeutung die Kosten eines Zeiterfassungssystems bei der Einführung spielt, wird zu klären sein.
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