„Der Zweck heiligt nicht die Mittel!"
- Weiterleitung von E-Mail-Kommunikation: Fristlose Kündigung möglich -
Rechtlicher Hintergrund
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber besteht gemäß § 241 Abs. 2 BGB die vertragliche Nebenpflicht zu gegenseitiger Treue und Rücksichtnahme. Verstöße gegen diese Pflicht können schwerwiegende arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit 23 Jahren als Verwaltungsmitarbeiterin bei der beklagten Kirchengemeinde beschäftigt. Gemäß des für sie geltenden Tarifvertrages war die Klägerin nur außerordentlich kündbar. Im Rahmen ihrer Tätigkeit war die Klägerin berechtigt auf den Dienstcomputer des Pfarrers zuzugreifen.
Im Jahr 2019 gewährte die Kirchengemeinde Frau A Kirchenasyl. In der Folgezeit bestand Kontakt, der in seiner konkreten Ausgestaltung streitig ist, zwischen der A und dem Pfarrers. Im Oktober unternahm Frau A einen Suizidversuch. Im November stieß die Klägerin im Postfach des Pfarrers auf eine E-Mail des Pfarrers an einen Dritten, die sich auf ein Verfahren wegen sexueller Übergriffe auf die A bezog. Zudem fand die Klägerin im Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pfarrer und A. Der vorgefundene Chat wurde durch die Klägerin auf einem Datenträger gespeichert und an ein Mitglied der Kirchengemeinde weitergleitet. Zur Begründung verwies die Klägerin darauf, sie habe nur Beweise sichern wollen und die A vor einem weiteren Suizidversuch schützen wollen.
Nachdem die Kirchengemeinde Kenntnis von den Vorkommnissen erlangte, wurde der Arbeitnehmerin fristlos gekündigt.
Die Klägerin hatte in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Aachen (ArbG) mit ihrer Kündigungsschutzklage Erfolg. Das ArbG sah zwar in dem Verhalten der Klägerin einen „an sich" geeigneten Grund für eine außerordentliche Kündigung, stellte aber im Rahmen der Interessenabwägung fest, dass die Kündigung unverhältnismäßig sei. Man müsse die lange, 23-jährige, Betriebszugehörigkeit der Klägerin beachten. Auch sei eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben.
Die Entscheidung
Das LAG Köln hob die Entscheidung des ArbG auf und wies die Klage ab. Es sah die fristlose Kündigung als wirksam an. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) hat das LAG nicht zugelassen. Es ist aber eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG anhängig.
Wie bereits das ArbG sah auch das LAG in dem Ausdrucken der E-Mail und dem Kopieren und Weiterleiten des Chatverlaufs einen erheblichen Verstoß gegen Datenschutzvorschriften. Ein solcher Verstoß sei auch grundsätzlich geeignet einen „wichtiger Grund" im Sinne des § 626 BGB darzustellen.
In Abweichung zur Vorinstanz sah das LAG jedoch in der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe der Daten des Pfarrers an Dritte eine so schwere Verletzung der Rücksichtnahmepflicht, dass bereits deren erstmalige Verletzung für den Arbeitgeber nicht hinnehmbar wäre. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen. Spätestens mit dem Ausdrucken und Kopieren der E-Mails habe die Klägerin ihre Berechtigung zur Einsichtnahme in das E-Mail- Konto erheblich überschritten. Dabei mag zwar der erste Satz der E-Mail aus Versehen gelesen worden sein, jedoch sei das Öffnen, der Druckbefehl und das Kopieren bewusst durch die Klägerin veranlasst worden. Es bestünde nicht nur ein Datenschutzverstoß, sondern auch eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Pfarrers und von A.
Das LAG hielt das Verhalten der Klägerin auch nicht für gerechtfertigt. Eine solche Rechtfertigung ergebe sich insbesondere nicht aus § 26 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Eine Rechtfertigung sei im Hinblick auf einen für möglich gehaltenen Suizid der Frau A. auch nicht über einen rechtfertigenden Notstand gem.§ 34 StGB herzuleiten. Auch die Argumentation der Klägerin, nach der die Weitergabe der Daten nicht willkürlich erfolgt sei, hielt das Gericht für nicht überzeugend. Die Weitergabe an das Gemeindemitglied sei nicht geeignet gewesen, das von der Klägerin vorgetragene Ziel einer Suizidverhinderung zu erreichen. Eine Weitergabe hätte an die Staatsanwaltschaft erfolgen müssen. Auch auf den Inhalt der E-Mail bzw. des Chats kommt es nach Ansicht des Gerichts nicht an. Ob der Inhalt intim oder belanglos ist, ist unerheblich, da es sich um die private Kommunikation zwischen zwei Personen handelt.
Im Rahmen der Abwägung sei die lange störungsfreie Betriebszugehörigkeit beachtet worden. Aufgrund der Schwere des Verstoßes sei aber kein anderes Ergebnis angemessen. Anders als das ArbG kommt das LAG zu dem Schluss, dass auch in der Zukunft ähnliche Verstöße durch die Klägerin möglich seien.
Praxishinweis
Der Rechtsstreit verdeutlicht, dass erhebliche Datenschutzverstöße „an sich" geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Mit diesen Verstößen geht oftmals ein empfindlicher Vertrauensverlust einher. Der Rechtsstreit verdeutlicht aber auch, dass es zu einer uneinheitlichen Bewertung durch den jeweiligen Richter in Bezug auf die Frage kommen kann, ob ein solcher Verstoß im Rahmen der Interessenabwägung eine Kündigung rechtfertige. Hier spielen insbesondere Fragen wie lange Betriebszugehörigkeit, bzw. ein ansonsten beanstandungsfreies Arbeitsverhältnis eine Rolle. Sichere Prognosen zum Ausgang eines solchen Rechtsstreits sind nahezu unmöglich.
Um Problematiken wie die streitgegenständliche zu vermeiden, empfiehlt sich eine strikte Trennung von privater und dienstlicher Kommunikation und eine damit einhergehende genaue Unterweisung der Arbeitnehmer bezüglich ihrer Berechtigung zur Kenntnisnahme von Daten Dritter. Insbesondere ist es zur Verdeutlichung wichtig, wenn Einsichtnahme in E-Mail-Kommunikation ermöglicht wird, Weiterleitungen an Dritte, oder anderweitige Abspeicherung zu untersagen. Arbeitgebern ist daher grundsätzlich zu empfehlen, den Arbeitnehmern eine private Nutzung ihrer geschäftlichen E-Mail Adresse zu untersagen. Nur so kann verhindert werden, dass es zu nicht beabsichtigten Eindringen in die Privatsphäre der Arbeitnehmer kommt, aber auch Arbeitgeber Zugang zu den betrieblichen E-Mail-Konten ihrer Mitarbeiter erhalten.
Arbeitnehmern ist zu raten, dass sie – sofern sie auf Material stoßen, dass ggf. Kollegen oder Vorgesetzte belastet – sich zunächst um eine interne Klärung der Angelegenheit bemühen. Werden Daten weitergeben so wird dies, wie das LAG hier verdeutlicht, nicht ausreichen um den Vertrauensverlust aufzuwiegen und eine Kündigung zu verhindern. Eine Weitergabe solchen Materials an Dritte muss daher wohl überlegt erfolgen.
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