Fahrradkuriere – Anspruch auf Fahrrad und Smartphone?
Rechtlicher Hintergrund
Der Arbeitsvertrag ist in § 611a BGB als Vertragstyp gesetzlich geregelt. Der Arbeitnehmer schuldet demnach seine Arbeitsleistung, während der Arbeitgeber die Grundlagen für die Arbeitsleistung schafft und die Vergütung zahlt.
Sachverhalt
Der Arbeitnehmer war als Fahrradkurier, als sogenannter Rider, beschäftigt, um Speisen und Getränke auszuliefern. Seine Arbeitsaufträge erhielt er über eine App auf dem Mobiltelefon. Laut Arbeitsvertrag war der Arbeitnehmer verpflichtet, sein privates Fahrrad und sein privates Smartphone nebst Datenvolumen für die Lieferfahrten zu benutzen. Der Arbeitgeber gewährte für den Einsatz des privaten Fahrrads eine Reparaturgutschrift von EUR 0,25 je gearbeiteter Stunde, die bei einer vom Arbeitgeber bestimmten Werkstatt eingelöst werden konnte. Für den Einsatz des privaten Smartphones gab es keine Gegenleistung.
Der Arbeitnehmer verlangte vom Arbeitgeber die Bereitstellung eines Fahrrads sowie eines Smartphones für die Ausübung der Lieferfahrten. Er argumentierte, dass die Regelung im Arbeitsvertrag nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB – also nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen – unwirksam sei, auch weil er für den Einsatz seiner privaten Mittel keine bzw. keine angemessene Gegenleistung erhalte. Der Arbeitgeber argumentierte hingegen, dass dem Arbeitnehmer kein Nachteil entstünde, da er ohnehin ein Fahrrad und ein Smartphone mit Datenflatrate habe. Das Arbeitsgericht hatte die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen, das Landesarbeitsgericht der Berufung stattgegeben.
Die Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Arbeitgebers zurück. Es stellte fest, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf habe, dass ihm der Arbeitgeber die für die Ausübung der geschuldeten Arbeitsleistung essenziellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellte. Im hier entschiedenen Fall müsse der Arbeitgeber dem Fahrradlieferanten daher ein verkehrstüchtiges Fahrrad sowie ein internetfähiges Smartphone mit einem ausreichenden Datenvolumen bereitstellen. Etwas anderes könne nur gelten, falls der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber einen angemessenen Ausgleich für den Einsatz seiner privaten Mittel erhielte.
Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass ein Arbeitnehmer nach dem gesetzlichen Leitbild des Arbeitsvertrags gemäß § 611a BGB nur verpflichtet sei, seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und die ihm zugewiesenen Tätigkeiten zu erledigen. Der Arbeitgeber wiederum müsse ihm die Arbeitsmittel zur Verfügung stellen, ohne die die vereinbarte Tätigkeit nicht erbracht werden könne. Ohne ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Smartphone mit ausreichendem Datenvolumen könne der Arbeitnehmer keine Lieferfahrten ausführen.
Die Regelung, nach der der Arbeitnehmer die notwendigen Arbeitsmittel selbst zu stellen habe, sei eine vom Leitbild des Gesetzes abweichende Regelung, die der uneingeschränkten Inhaltskontrolle des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß §§ 307 ff BGB unterliege, weil die Bestimmungen des Arbeitsvertrages allgemeine Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers darstellten.
Das Bundesarbeitsgericht nahm eine Interessenabwägung vor und prüfte dabei, ob die arbeitsvertragliche Regelung angemessen sei. Es stellte fest, dass der Arbeitgeber offensichtlich das Interesse verfolge, von Betriebskosten und -risiken entlastet zu werden. Der Arbeitnehmer aber habe seinerseits ein Interesse daran, dass ihm der Arbeitgeber die notwendigen Arbeitsmittel zur Verfügung stelle, weil er ansonsten diese Kosten und Risiken tragen müsse. Das Bundesarbeitsgericht fand es in diesem Zusammenhang unerheblich, dass der Arbeitnehmer ohnehin ein privates Fahrrad und ein privates Smartphone besitzt. Durch den Einsatz für die Lieferfahrten entstünden nämlich eine erhöhte Abnutzung sowie das Risiko von Verlust und Beschädigung, ohne dass der Arbeitnehmer hierfür genügend kompensiert würde. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts war das gewährte Reparaturguthaben schon deshalb kein ausreichender Ausgleich, weil der Arbeitnehmer hierüber nicht frei verfügen konnte. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigte auch, dass der Arbeitnehmer aus Datenschutzgründen ein Interesse daran haben könnte, seinerseits zu entscheiden, welche Apps er auf seinem privaten Smartphone installiere. Die Regelung im Arbeitsvertrag benachteilige dem Arbeitnehmer insgesamt in unangemessener Weise und war daher nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts unwirksam.
Praxishinweis
Arbeitsmittel sind und bleiben das Geschäftsrisiko des Unternehmers. Der Unternehmer leitet den Betrieb und erzielt den Gewinn. Als Arbeitgeber darf er Betriebsrisiken nicht auf seine Arbeitnehmer abwälzen. Insbesondere Start-Ups müssen ihren Business Plan dahingehend überprüfen, ob die Geschäftsidee in sich tragfähig ist und dürfen ihre Arbeitnehmer nicht ausnutzen, um durch Verlagerung der Anschaffungskosten für an sich zu stellende Arbeitsmittel Gewinne für sich zu erzielen.
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