BAG: Arbeitgeberseitige Anordnung von PCR-Tests rechtmäßig
Sachverhalt
Die Klägerin war als Flötistin an der Bayerischen Staatsoper mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt EUR 8.351 beschäftigt. Zu Beginn der Spielzeit 2020/21 hat die Bayerische Staatsoper, nachdem sie zum Schutz der Mitarbeiter vor COVID-19-Erkrankungen bereits bauliche und organisatorische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenbereichs und die Neuregelung von Zu- und Abgängen ergriffen hatte, im Rahmen ihres betrieblichen Hygienekonzepts in Zusammenarbeit u.a. mit dem Institut für Virologie der Technischen Universität München und dem Klinikum Rechts der Isar eine Teststrategie entwickelt. Vorgesehen war die Einteilung der Beschäftigten in Risikogruppen und je nach Gruppe die Verpflichtung zur Durchführung von PCR-Tests in unterschiedlichen Zeitabständen. Als Orchestermusikerin sollte die Klägerin zunächst wie alle Mitarbeiter zu Beginn der Spielzeit einen negativen PCR-Test vorlegen und in der Folge weitere PCR-Tests im Abstand von ein bis drei Wochen vornehmen lassen.
Die Bayerische Staatsoper bot hierfür kostenlose PCR-Tests an, alternativ konnten die Mitarbeiter PCR-Testbefunde eines von ihnen selbst ausgewählten Anbieters vorlegen. Der Klägerin wurde mitgeteilt, dass sie ohne Testung nicht an Aufführungen und Proben teilnehmen könne. Die Flötistin weigerte sich, PCR-Tests durchführen zu lassen und begründete dies mit ihrer Ansicht, diese seien zu ungenau und stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit dar. Anlasslose Massentests seien unzulässig. Der beklagte Freistaat hat daraufhin in der Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 die Gehaltszahlungen eingestellt. Seit Ende Oktober 2020 legte die Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht PCR-Testbefunde vor. Mit ihrer Klage hat sie für die Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt, hilfsweise die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens. Weiter verlangt sie, ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 beschäftigt zu werden.
Das ArbG München und auch das Landesarbeitsgericht München (LAG) hatten die Klagen zuvor abgewiesen (lesen Sie hierzu unseren Newsletter-Beitrag aus dem Monat März 2022 LAG München).
Die Entscheidung
Das BAG teilte die Einschätzung der Vorinstanzen und wies die Revision der Klägerin zurück.
Der Arbeitgeber sei nach § 618 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Arbeitsleistung, die unter seiner Leitung vorzunehmen ist, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, als die Natur der Arbeitsleistung es gestatte. Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) würden den Inhalt der Fürsorgepflichten, die dem Arbeitgeber hiernach im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer auferlegt werden, konkretisieren. Zur Umsetzung arbeitsschutzrechtlicher Maßnahmen könne der Arbeitgeber Weisungen nach § 106 Satz 2 GewO hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb erteilen. Das hierbei zu beachtende billige Ermessen würde im Wesentlichen durch die Vorgaben des ArbSchG konkretisiert.
Vor diesem Hintergrund sei die Anweisung zur Durchführung des PCR-Tests nach dem betrieblichen Hygienekonzept der Bayerischen Staatsoper rechtmäßig gewesen. Der mit der Durchführung der Tests verbundene minimale Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sei verhältnismäßig. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mache die Testanordnung nicht unzulässig, zumal ein positives Testergebnis mit Blick auf die infektionsschutzrechtlichen Meldepflichten und die Kontaktnachverfolgung ohnedies im Betrieb bekannt werde.
Wegen der Rechtmäßigkeit der Anordnung bestünden im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund des fehlenden Leistungswillen der Klägerin keine Vergütungsansprüche, §297 BGB.
Praxishinweis
Für Arbeitgeber ist die Entscheidung eine Erleichterung bei der Planung betrieblicher Hygienemaßnahmen, die laut dem BAG einseitig durch den Arbeitgeber angewiesen werden können.
Es bleibt zu berücksichtigen, dass die Entscheidung auf einem Einzelfall beruht. Der dem BAG zur Entscheidung vorliegende Sachverhalt betraf einen im Pandemiegeschehen differenziert zu betrachtenden Zeitraum. Ein flächenmäßiger Impfschutz, gar die Impfmöglichkeit waren zu diesem Zeitpunkt nicht vorhanden. (Ferner lag ein Tarifvertrag vor, der Infektionsschutzmaßnahmen vorsah.)
Das dem Arbeitgeber insoweit eingeräumte Ermessen muss daher unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jeweils einzelfallbezogen bewertet werden. Ist ein Betriebsrat gebildet, so wäre dieser jedenfalls vor einer entsprechenden Anordnung zu beteiligen.
Der Entscheidung des BAG ist jedoch zu entnehmen, dass das höchste Arbeitsgericht Deutschlands dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz eine hohe Bedeutung zukommen lässt und Individualinteressen im Zweifelsfalls dahinter zurückstehen müssen. Es sollte jedoch, bevor solche Maßnahmen ergriffen werden, die jeweilige Rechtslage im Einzelfall auf Basis der infektionsrechtlichen Bestimmungen, die jeweils gelten, geprüft werden.
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