Freiwilligkeitsvorbehalt bei Sonderzuwendungen
Sachverhalt
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 18. Juli 2014 als sogenannter Prozessbegleiter beschäftigt.
Unter Punkt drei des Arbeitsvertrages unter der Überschrift „Vergütung" findet sich zum einen der Stundenlohn des Klägers, aber auch folgende Passage: „Die Zahlung von Sonderzuwendungen, insbesondere von Weihnachts- und/ oder Urlaubsgeld, liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt". Ferner vereinbarten die Parteien eine Rückzahlungsklausel, nach der ein Arbeitnehmer im Falle seines Ausscheidens innerhalb von drei Monaten nach Erhalt der Sonderzahlung, die Sonderzahlung zurückzuzahlen habe. Darüber hinaus vereinbarten die Parteien eine (einfache) Schriftformklausel bezüglich der Änderung von Verträgen.
Der Kläger erhielt in den Kalenderjahren 2015 bis 2019 jeweils mit dem Lohnlauf Juni ein Urlaubsgeld zuletzt in Höhe von EUR 1.522 brutto und mit Lohnlauf November ein Weihnachtsgeld in Höhe von zuletzt EUR 1.540 brutto, ohne dass der Arbeitgeber mit der Auszahlung einen Vorbehalt erklärte, ausbezahlt. Die in den Jahren vor 2019 gezahlten Beträge wichen in der Höhe ab. Für das Jahr 2020 erhielt der Kläger weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld, die er in der im Jahre 2019 bezogenen Höhe mit seiner Klage geltend machte.
Die Entscheidung
Das LAG Baden-Württemberg entschied, dass in den schwankenden, aber fortwährenden Zahlungen ohne Vorbehalt in Form von gleichförmigen Verhalten ein stillschweigendes (konkludentes) Angebot zu sehen sei, für diese Leistungen den „Freiwilligkeitsvorbehalt" abzubedingen. Der Kläger habe daraus den Schluss ziehen dürfen, dass die Beklagte sich ihm gegenüber binden wollte, ihm auch zukünftig ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu zahlen. Dieses Angebot konnte der Kläger als für ihn lediglich vorteilhaft ohne ausdrückliche Annahmeerklärung annehmen.
Angesichts der schwankenden Höhe der Zahlungen konnte der Kläger dagegen nicht davon ausgehen, dass der Beklagte stets dieselbe Summe bezahlen wolle, sondern dass der Beklagte sich die Festsetzung der Höhe nach billigem Ermessen vorbehalten wolle. Das Gericht sah darin aber keinen Umstand, dass der Arbeitgeber zumindest das „Ob" der Zahlung abbedingen wollte.
Die Schriftformklausel stehe dieser konkludenten Vertragsänderung nicht entgegen, da sie abweichende Individualabreden aufgrund des Vorrangs der Individualabrede nach § 305b BGB nicht verhindern könne und insoweit unwirksam sei.
Ferner entschied das Gericht, dass es sich bei den Zahlungen auch nicht um freiwillige Zahlungen handele, bezüglich derer ein Rechtsanspruch durch eine konkludente Vertragsänderung nicht entstehen könne. Zwar stelle die Zahlung zunächst eine freiwillige Leistung dar, denn es gab für sie keine rechtliche Grundlage im Arbeitsvertrag. Jedoch sei es – wie oben ausgeführt – zu einer konkludenten Vertragsänderung gekommen, weshalb letztlich ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld entstanden sei. Die Freiwilligkeitsklausel stünde dabei dem Entstehen des Anspruchs nicht entgegen, da sie infolge von Intransparenz nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sei.
Die Klausel sei intransparent im Hinblick darauf, dass wenn die Leistung des Arbeitgebers eine freiwillige sei, der Arbeitnehmer bereits keinen Anspruch auf sie habe, sodass sie ihm auch nicht rückwirkend wieder entzogen werden könne. Durch die vorbehaltlose Zahlung sei der Eindruck bei dem Arbeitnehmer entstanden, er habe einen Anspruch auf die Zahlung.
Letztlich sei die Klausel auch intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie den Kläger dadurch benachteilige, dass sie den Eindruck entstehen lasse, dass auch nachträglich – wie hier konkludent – vereinbarte Sonderzahlungen unter den Freiwilligkeitsvorbehalt fielen. Die Klausel mache nicht hinreichend deutlich, dass sie auf Sonderzuwendungen, die von den Parteien ggf. nachträglich vereinbart worden sind, keine Anwendung finde. Eine solche nachträglich getroffene Individualabrede i.S.v. § 305b BGB hätte Vorrang vor AGB.
Praxishinweise
Das Urteil ist von hoher praktischer Bedeutung, da Freiwilligkeitsklauseln noch gängige Praxis sind. Das liegt daran, dass Arbeitgeber sich – berechtigterweise – bei der Gestaltung der Verträge umfassend gerade bei Sonderleistungen absichern möchten. Aus diesem Urteil ist aber zu schließen, dass Freiwilligkeitsklauseln kaum wirksam zu fassen sind, wenn nicht – wie hier – beispielsweise Ausnahmen für nachträgliche Vereinbarungen aufgenommen werden. Insbesondere muss auch sichergestellt werden, dass jede Zahlung mit dem Verweis auf „Freiwilligkeit" versehen wird. Und weitergehend: Sollte nicht von Freiwilligkeitsklauseln Abstand zu Gunsten von „Widerrufsklauseln" genommen werden?
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