BAG: Entgeltgleichheit von Männern und Frauen – unabhängig von
Verhandlungsgeschick
Sachverhalt
Die Klägerin arbeitete seit März 2017 im Außendienst im Vertrieb der Beklagten, welche im Bereich der Metall- und Elektroindustrie ansässig ist. Als Gehalt waren EUR 3.500 vereinbart. Zwei Monate vorher war ein männlicher Arbeitnehmer auf einer entsprechenden Position eingestellt worden. Diesem war im Rahmen der Vertragsverhandlungen dasselbe Gehalt angeboten worden, welches er jedoch ablehnte. Er verlangte ein höheres Gehalt i.H.v. EUR 4.500 bis zur Einführung einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung im November 2017. Der Forderung stimmte die Beklagte zu. Von November 2017 bis Juni 2018 erhielten sowohl die Klägerin als auch der Kollege sodann dasselbe Grundentgelt i.H.v. EUR 3.500. Ab 1. Juli 2018 vereinbarten die Beklagte und der Kollege dann ein Grundgehalt i.H.v. EUR 4.000.
Ab dem 1. August 2018 regelte ein sog. Haustarifvertrag, welchen die Beklagte mit der IG Metall geschlossen hatte, die unterschiedlichen Entgeltgruppen im Unternehmen. Die Klägerin und ihr Kollege wurden einer Entgeltgruppe mit einem Grundentgelt i.H.v. 4.140 Euro zugeordnet. Der Haustarifvertrag sah allerdings vor, dass das“ neue tarifliche Grundentgelt“, sofern es das „ursprüngliche tarifliche Entgelt“ überschreitet, in den Jahren 2018 bis 2020 um nicht mehr als EUR 120 angepasst werden dürfe. Demnach wurde das Gehalt der Klägerin auf EUR 3.620 Euro erhöht, das Gehalt des Kollegen hingegen auf EUR 4.120.
Die Klägerin begehrte daraufhin von der Beklagten die Zahlung rückständiger Vergütung aufgrund der Abweichungen gegenüber der jeweiligen Grundentgelte ihres Kollegen sowie eine angemessene Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts i.H.v. mindestens EUR 6.000. Dies begründete sie damit, dass ihr männlicher Kollege nahezu zur gleichen Zeit eingestellt worden sei und bei der Beklagten eine gleichartige Arbeit verrichte.
Die Vorinstanzen, das Arbeitsgericht Dresden sowie das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG), wiesen die Klage ab. Das LAG (LAG Sachsen, Urt. v. 3. September 2021 – 1 Sa 358/19) kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte die Vermutung der geschlechtsbedingten Benachteiligung aus § 22 AGG widerlegt habe. Die Beklagte trug vor, dass die höhere Bezahlung des Kollegen lediglich darin begründet gewesen sei, dass der Kollege nicht willens war, die Position mit einem geringeren Gehalt auszuüben. Ihm sei daher im Interesse daher Mitarbeitergewinnung ein höheres Grundentgelt gewährt worden. Zudem sei die Stelle vorher von einer besser vergüteten Kollegin besetzt gewesen, dessen Funktion als „Leiter Vertrieb Bahntechnik“ der Kollege später übernehmen sollte. Hierauf habe auch die Erhöhung des Gehalts zum 1. Juli 2017 beruht. Das LAG befand daher, dass die unterschiedliche Bezahlung ausschließlich auf objektiven Umständen beruhte und somit gerechtfertigt war.
Die Entscheidung
Das BAG, Urt. v. 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21, stimmte der Auffassung der Vorinstanzen nicht zu, sondern sah die Vermutung der geschlechtsspezifischen Benachteiligung aus § 22 AGG hier bestätigt. Es gab den Anträgen der Klägerin ganz überwiegend statt und billigte ihr die Zahlung rückständiger Vergütungen sowie eine angemessene Entschädigung von EUR 2.000 aufgrund Diskriminierung wegen ihres Geschlechts zu.
Grundsätzlich bestätige allein die Tatsache, dass der Klägerin ein geringeres Entgelt als ihrem männlichen Kollegen gezahlt wurde, die Vermutung der Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts. Umstände wie die gleiche Eingruppierung im Haustarifvertrag, wechselseitige Vertretungen, zeitgleiche Einstellung und wortgleiche Arbeitsverträge, wie es sich aus dem Urteil des LAG ergibt, dürften hier die „Gleichheit“ der Positionen bestätigt haben. Unter dieser Annahme ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig, dass sachliche Gründe die ungleiche Bezahlung rechtfertigten. Diese war in den Augen des BAG jedoch nicht in der Lage, die Vermutung zu widerlegen. Die Beklagte könne der Vermutung nicht entgegenhalten, dass das höhere Gehalt des Kollegen lediglich wegen dessen besserem Verhandlungsgeschick zustande gekommen war. Auch genügte dem BAG nicht der Umstand, dass die Position des Kollegen vorher von einer besser bezahlten Vertriebsmitarbeiterin besetzt worden war.
So bejahte das BAG die Benachteiligung der Klägerin aufgrund ihres Geschlechts und leitete deren Anspruch auf die Zahlung der rückständigen Vergütung aus Art. 157 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU), § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG her.
Ferner urteilte das BAG, dass der Haustarifvertrag, der Bezug auf „vorherige tarifliche Entgelte“ nimmt, aufgrund der einzelvertraglichen Vereinbarung des Grundentgelts der Klägerin nicht auf deren Gehalt anwendbar ist. Eine Anpassung des Entgelts habe daher ab dem 1. August 2018 entsprechend des neuen tarifvertraglichen Entgelts auf EUR 4.140 erfolgen müssen.
Praxishinweis
Eine Auskunft über das Gehalt von Kollegen anderen Geschlechts schuldet der Arbeitgeber entsprechend §§ 10, 12 EntgTranspG regelmäßig nur in Betrieben ab 200 Beschäftigten. Daher ist in anderen Konstellationen fraglich, wie benachteiligte Arbeitnehmerinnen oder auch Arbeitnehmer in Erfahrung bringen sollen, was andere Kollegen in gleichwertigen Positionen verdienen, um einen Anspruch auf Zahlung rückständiger Vergütung geltend zu machen. Dazu verhält sich das Urteil des BAG vom 12. Oktober 2022, das ebenfalls in diesem Newsletter besprochen wird.
Kann eine unterschiedliche Bezahlung festgestellt werden, ist weiterhin der Vortrag des Arbeitgebers hinsichtlich der Umstände maßgeblich, welche die unterschiedliche Bezahlung begründen. Kann er darlegen, dass Unterschiede ausschließlich auf objektiven Faktoren beruhen und die Vermutung der Geschlechterdiskriminierung aus § 22 AGG so widerlegen, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz gleichartiger Beschäftigung mit ihren Kollegen weiterhin unterschiedlich entlohnt werden. Feststeht jedenfalls, dass „Verhandlungsgeschick“ nicht ausreicht, ein unterschiedliches Grundgehalt zu rechtfertigen. Dies gilt natürlich auch für den Fall, dass Frauen „besser verhandeln“. Dies heißt aber auch, dass Arbeitgebern bei der Arbeitskräftegewinnung enge Grenzen gesetzt sind. Selbst bei Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu gewinnen, muss der Arbeitgeber eventuell Bewerber „ziehen lassen“, falls es keine anderen objektiven, sachlichen und nicht diskriminierenden Grund zur Abweichung gibt. Wichtig bleibt darauf hinzuweisen, dass hier es gerade um zwei zeitnah eingestellte Mitarbeiter ging. Wenn ein Mitarbeiter mit gleicher Aufgabe im Unternehmen tätig ist, der aber bereits länger beschäftigt ist, so rechtfertigt sich hier das höhere Gehalt aus beruflicher Erfahrung. So war es auch in diesem Fall – ein anderer Mitarbeiter auf gleichartiger Position, der mehr verdiente, wurde nicht bei der Prüfung der Frage der Rechtfertigung unterschiedlicher Behandlung berücksichtigt.
Artikel als PDF speichern