BAG: Verschieden hohe Zuschläge bei (un-)regelmäßiger Nachtarbeit
Sachverhalt
Die Klägerin arbeitete bei der Beklagten, einem Unternehmen der Getränkeindustrie, in einem Wechselschichtmodell und leistete in diesem Zuge auch regelmäßige Nachtarbeit.
Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist ein Manteltarifvertrag, der zwischen der Arbeitgeberin und der Gewerkschaft NGG als sogenannter Firmentarifvertrag abgeschlossen wurde.
Dieser sieht für regelmäßige Nachtarbeit einen Zuschlag von 20% zum Stundenentgelt vor. Beschäftigte, die Dauernachtarbeit leisten oder im 3-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten zusätzlich pro 20 geleistete Nachtschichten einen Tag Schichtfreizeit. Der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit beträgt hingegen 50% des Stundenentgelts.
Die Klägerin, Mitglied der Gewerkschaft NGG, machte geltend, dass durch die unterschiedlichen Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit des Manteltarifvertrags gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen werde. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg („LAG“) gab der Klage teilweise statt, da es der Ansicht war, dass keine unterschiedlich große Belastung von unregelmäßiger gegenüber regelmäßiger Belastung ausginge. Die Beklagte legte daraufhin Revision ein.
Das BAG, Urteil vom 22. Februar 2023 (Az. 10 AZR 332/20), hob das Urteil des LAG schließlich auf, soweit das LAG der Berufung der Beklagten stattgegeben hatte.
Entscheidung
Das BAG entschied an diesem Tag gleich in mehreren Fällen über die Rechtsmäßigkeit von unterschiedlich hohen Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit im Bereich der Lebensmittelindustrie. Zwar stimmte es mit der Klägerin überein, dass die unterschiedlichen Zuschläge eine Ungleichbehandlung von regelmäßigen und unregelmäßigen Nachtarbeitern im Sinne des grundrechtlichen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG darstellten. Es lehnte jedoch deren Rechtswidrigkeit aufgrund der Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund ab. In diesem Punkt wich das BAG von der Entscheidung des LAG ab, das hier eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung sah. Die Belastung des Arbeitnehmers, ob regelmäßige oder unregelmäßige Nachtarbeit, sei gleich. Auch Tarifverträge hätten, so dass BAG, – trotz der nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie – den Gleichheitssatz zu wahren.
Der sachliche Grund der unterschiedlichen Zuschläge – so jedenfalls das BAG – der die Ungleichbehandlung erlaube, sei hier erkennbar im Tarifvertrag niedergelegt und bestünde darin, unregelmäßige Nachtarbeit aufgrund der schlechteren Planbarkeit und zusätzlicher gesundheitlicher Belastungen durch einen höheren Prozentsatz des Zuschlags auszugleichen.
Entsprechend der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie sei es den Tarifvertragsparteien freigestellt, neben dem Zweck des Gesundheitsschutzes des Nachtarbeitszuschlages auch andere Zielsetzungen zu verfolgen. Eine Überprüfung der Höhe der Nachtarbeitszuschläge nahm das BAG hier nicht vor, da die finanzielle Beurteilung der schlechteren Planbarkeit Teil des Ermessens der Tarifvertragsparteien sei.
Verschieden hohe Nachtarbeitszuschläge rechtfertigte das BAG somit durch die unterschiedlichen Belastungen von regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit im Hinblick auf die Planbarkeit dieser Einsatzzeiten, sodass der Ungleichbehandlung in ihrer tarifvertraglichen Ausgestaltung ein sachlicher Grund zugrunde liegt und demnach gerade kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG besteht.
Praxishinweis
Mit diesem Urteil kehrt das BAG wieder zu seiner früheren Rechtsprechung zurück, von welcher es erstmalig 2018 abgewichen war, und misst, wenn dafür sachlich rechtfertigende Gründe vorliegen, regelmäßiger Nachtarbeit eine größere Belastung bei als regelmäßiger.
Zwar sind Bestimmungen eines Manteltarifvertrages Gegenstand des Urteils. Dessen Begründung kann jedoch grundsätzlich auf andere betriebliche oder auch arbeitsvertragliche Regelungen angewandt werden, in denen unterschiedliche Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit vereinbart sind. So ist auch bei unterschiedlich hohen Zuschlägen für Nachtarbeit nicht per se eine willkürliche Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG gegeben. Für deren Rechtfertigung kommt es allerdings weiterhin auf die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Ausgleiche für regelmäßige und regelmäßige Nachtarbeit an. Ferner zeigt die Entscheidung auch, dass es sehr sinnvoll ist, zu den Gründen unterschiedlicher Behandlung von auf ersten Blick ähnlichen Sachverhalten – wie Nachtarbeit – in der Regelung selbst Anmerkungen zu machen, um so die an sich mögliche Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.
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