BAG: Darlegungs- und Beweislast beim Berufen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz
Rechtlicher Hintergrund
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz besagt, dass der Arbeitgeber bei begünstigenden Maßnahmen gegenüber seinen Arbeitnehmern keinen einzelnen Arbeitnehmer aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen schlechter als andere, mit ihm vergleichbare Arbeitnehmer, behandeln darf.
Im Rahmen der Feststellung eines Anspruchs aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, zum Beispiel eines Vergütungsanspruchs, trägt der Arbeitnehmer als Anspruchsteller grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die eine nicht sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung und somit seinen vermutlichen Leistungsanspruch begründen. Hat er substantiiert dargelegt, dass eine Gruppenbildung unter Arbeitnehmern mit einer gleichwertigen Tätigkeit stattgefunden hat und er diesen gegenüber hinsichtlich seiner Vergütung benachteiligt wird, so muss der Arbeitgeber diese Behauptung widerlegen und begründen, wer aufgrund welcher Kriterien Teil der begünstigten Gruppe ist und warum der Arbeitnehmer dieser nicht angehört.
Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten seit 2014 angestellt und seit 2015 bei ihr als „leitende Führungskraft“ tätig. Im November 2016 wurde er von seiner Arbeitsverpflichtung freigestellt. Sodann sprach die Beklagte im Jahr 2017 zwei Kündigungen aus. Gegen diese klagte der Arbeitnehmer erfolgreich, woraufhin er ab Februar 2019 seine Arbeit bei der Beklagten wieder aufnahm. Zwischen 2017 und 2020 waren die Entgelte anderer Arbeitnehmer erhöht worden. Eine Erhöhung des Entgelts des Klägers war hingegen, gerade während der Freistellungsphase, nicht erfolgt, sondern erst wieder ab 1. Januar 2021.
Der Kläger klagte daraufhin im Mai 2020 vor dem Arbeitsgericht Celle und begehrte im Wege einer Stufenklage zunächst Auskunft hinsichtlich der konkreten Anpassungen der Zielgehälter von 13 von ihm benannten Kollegen während des Zeitraums von 2017 – 2020 und darüber hinaus die Verurteilung der Beklagten zur entsprechenden Anpassung seines Zielgehalts. Sowohl die Klage vor dem Arbeitsgericht als auch die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen („LAG“) wurden abgewiesen.
Nun entschied das BAG mit seinem Urteil vom 12. Oktober 2022 (Az. 5 AZR 135/22),, dass das Urteil des LAG wegen Rechtsfehlern aufzuheben ist und die Sache an das LAG zurückverwiesen wird. Es begründete diese Aufhebung mit einer Überspannung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Anspruchstellers durch das LAG.
Entscheidung
Zwar bestätigte das BAG die Ansicht des LAG, die auch allgemeine Rechtsansicht ist, dass es keinen allgemeinen Auskunftsanspruch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder des allgemeinen Zivilrechts gäbe. Es stellte jedoch auch fest, dass ein Auskunftsanspruch unter bestimmten Voraussetzungen aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB abgeleitet werden könne.
Dieser setze u.a. die Möglichkeit eines Leistungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte im Rahmen einer besonderen rechtlichen Beziehung voraus. Ferner sei die entschuldbare Ungewissheit des Anspruchsstellers über seine Rechte erforderlich sowie, dass dem Anspruchsgegner das Geben dieser Auskunft zumutbar sei.
Ein Anspruch auf Anpassung des Zielgehalts könne hier ggf. aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitet werden. Die Darlegungslast hinsichtlich der Umstände, die einen möglichen Anspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz begründeten, träfen entsprechend der allgemeinen Grundsätze den Anspruchssteller, hier also den Arbeitnehmer. Demnach habe er die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen und auch eine Gruppe konkreter Arbeitnehmer zu nennen, die eine vergleichbare Tätigkeit ausübt und ihm gegenüber bevorteilt wird. Der Kläger trug vor, dass er der Gruppe der „leitenden Angestellten“ angehöre und benannte noch dreizehn weitere vergleichbar tätige, der Gruppe der leitenden Angestellten angehörige Arbeitnehmer. Das BAG wertete diesen Vortrag als substantiierte Darlegung für das mögliche Bestehen eines Leistungsanspruches des Klägers.
Die Beklagte habe daher zunächst einen erheblichen (Gegen-) Vortrag zu erbringen. Dadurch, dass der Kläger sich in einer entschuldbaren Ungewissheit über Bestehen und Umfang seiner möglichen Rechte befand und er die Information weder rechtmäßig noch zumutbar beschaffen konnte, war er in diesem Fall nicht darlegungspflichtig. Die Beklagte konnte die notwendigen Informationen demgegenüber in zumutbarer Weise beschaffen. Somit läge die weitergehende Darlegungslast in Bezug auf die Ungleichbehandlung hier bei der Beklagten und Arbeitgeberin. Diese habe darzulegen, wer Teil der begünstigte Gruppe ist, aufgrund welcher Kriterien jemand der Gruppe zugeordnet wird, wodurch sie sich abgrenzt und warum der Kläger nicht Teil der Gruppe ist. Offenzulegen sind die Differenzierungskriterien.
Aufgrund der fehlerhaften Anforderungen an Darlegungs- und Beweislast durch die Vorinstanzen entschied das BAG, dass die Beklagte im Sinne des Grundsatzes des fairen Verfahrens die Möglichkeit erhalten müsse, im Rahmen eines fortgesetzten Berufungsverfahrens zu der Gruppe und den Differenzierungskriterien vorzutragen. Anhand dieses Vortrags sei über den Anspruch des Klägers zu entscheiden.
Praxishinweis
Das BAG hat mit diesem Urteil trotz der Tatsache, dass es den zugrunde liegenden Sachverhalt nicht abschließend entscheidet, deutlich gemacht, wie die Darlegungslast bei einem möglichen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verteilt ist. So muss der Arbeitnehmer nur die Tatsachen vortragen, die er auch rechtmäßig und zumutbar beschaffen kann, und darlegen, dass er gegenüber einer Gruppe von ihm benannter vergleichbar tätiger Arbeitnehmer benachteiligt sei. Der Arbeitgeber hat dann die Gruppenbildung und deren Kriterien darzulegen, also Umstände darzulegen, die belegen, dass der Arbeitnehmer der Gruppe nicht zuzuordnen ist.
Jedenfalls im Bereich der Lohngestaltung werden die Grundsätze dieses Urteils die arbeitsrechtliche Praxis voraussichtlich nicht sehr lange beeinflussen. Wie auch in diesem Newsletter beschrieben, ist die Verabschiedung einer neuen EU-Richtlinie zur Lohntransparenz und Entgeltgleichheit nach Ansicht vieler nur noch Formsache. Nach deren Umsetzung in nationales Recht sollen Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch gegen ihren Arbeitgeber hinsichtlich des Durchschnittsgehalts von Kolleginnen und Kollegen haben, welche eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Dessen Existenz ist dann im Gesetz verankert. Erschwerend kommt dann für Arbeitgeber außerdem hinzu, dass auch eine Beweislastumkehr zu ihren Lasten eingeführt werden soll. Dass keine Lohndiskriminierung besteht, wird dann künftig von Arbeitgebern darzulegen sein.
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