Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – Update Referentenentwurf
Dem Beschluss des BAG vorausgegangen war die Entscheidung des EuGH vom 14. Mai 2019, die eine verpflichtende Zeiterfassung als Arbeitsschutzmaßnahme bereits aufgrund der unionsrechtskonformen Auslegung der EU-Arbeitszeitrichtlinie begründet hatte. Da Richtlinien der EU in den jeweiligen Mitgliedsstaaten keine unmittelbare Wirkung entfalten, kam der Entscheidung des BAG eine nachhaltige Bedeutung zu. Überraschend stützten die Richter in Erfurt die allgemeine Zeiterfassungspflicht auf eine eher generalklauselartige Regelung aus dem Arbeitsschutzgesetz (§3 Abs. 2 S.1 ArbSchG), nicht auf das Arbeitszeitgesetz. Damit war klar, dass eine solche allgemeine Zeiterfassungspflicht für Arbeitgeber bereits heute besteht.
Die Entscheidung des BAG hat jedoch viele Fragen im Zusammenhang mit Zeiterfassung aufgeworfen bzw. diese wieder stärker in den Fokus gerückt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hatte als Reaktion auf das Urteil angekündigt, „zeitnah eine praktikable“ gesetzliche Regelung zu erarbeiten. Am 18. April 2023 hat das BMAS nun den ersten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften („Referentenentwurf“) vorgelegt, der nun anderen Ministerien zur Stellungnahme vorliegt. Der Referentenentwurf will auf die Entscheidung des BAG hin, das ArbZG (nicht das ArbSchG) ergänzen.
Im Hinblick auf die allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung soll das ArbZG – nach Vorstellung des BMAS – wie folgt geändert werden:
1. Form der Zeiterfassung
Der Referentenentwurf sieht grundsätzlich die elektronische Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aller Arbeitnehmer vor. Elektronisch kann nach dem Entwurf auch die Nutzung eines herkömmlichen Tabellenkalkulationsprogramms bedeuten. Eine nichtelektronische Zeiterfassung bleibt möglich für Kleinunternehmen mit weniger als zehn Arbeitnehmer sowie für Arbeitgeber ohne Betriebsstätte im Inland. Darüber hinaus kann die nichtelektronische Zeiterfassung tarifvertraglich oder aufgrund eines Tarifvertrags durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung festgelegt werden. Arbeitgeber haben die Arbeitszeitnachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren, für Kontrollen der Aufsichtsbehörde bereitzuhalten und auf Verlangen dem Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen bzw. darüber zu informieren.
2. Zuständigkeit für die Aufzeichnung
Grundsätzlich sind Arbeitgeber für die Zeiterfassung zuständig. Arbeitgeber können die Pflicht zur Zeiterfassung auf Arbeitnehmer oder Dritte delegieren. Verantwortlich bleibt jedoch der Arbeitgeber. Wenn die Aufzeichnung durch Arbeitnehmer selbst erfolgt, soll der Arbeitgeber auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten können, sofern sichergestellt ist, dass Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden. Somit soll Vertrauensarbeitszeit weiter möglich bleiben.
3. Zeitpunkt der Aufzeichnung
Die Arbeitszeit ist jeweils am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen. Durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags durch Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung kann vereinbart werden, dass die Aufzeichnung an einem anderen Tag, spätestens aber bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Tags erfolgen kann.
4. Übergangszeitraum und Ausnahmen
Der Gesetzesentwurf enthält eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung für die Einführung eines elektronischen Systems, die bislang zeitlich noch nicht bestimmt ist. Zu beachten ist, dass die Zeiterfassung dennoch bereits wegen der BAG-Entscheidung in nichtelektronischer Form zu erfolgen hat. Grundsätzlich ist die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer zu erfassen. Eine Öffnungsklausel macht es den Tarifvertragsparteien und ggf. Betriebsparteien möglich, bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern von der Zeiterfassungspflicht ausnehmen zu können, bei denen die Arbeitszeit wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus selbst festgelegt werden kann.
5. Sanktionen bei Verstößen
Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Arbeitserfassung sowie zur Aufbewahrung und Bereithaltung der Aufzeichnungen kann ein Bußgeld von bis zu EUR 30.000 nach sich ziehen. Schlimmstenfalls droht Unternehmen die Einziehung von Gewinnen, die aufgrund von Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz erzielt wurden.
Fazit
Es wird spannend zu beobachten, welche Änderungen der erste Entwurf des Gesetzes noch erfahren wird. Die von den Koalitionsparteien ursprünglich ins Auge gefasste Flexibilisierung der Arbeitszeit findet sich im Referentenentwurf bislang nicht wieder. Von der Möglichkeit, Bereichsausnahmen – zum Beispiele für bestimmte Berufsgruppen oder besonders gut verdienende Arbeitnehmer – zu schaffen, wurde kein Gebrauch gemacht.
Zu kritisieren ist insbesondere, dass der Referentenentwurf Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben grundsätzlich nur durch Tarifverträge ermöglichen will. Betriebsvereinbarungen sollen nur möglich sein, sofern der Tarifvertrag eine Öffnungsklausel enthält. Diese Regelung wird in der gesetzgeberischen Debatte sicherlich besonders umstritten sein, da hier – vielleicht aus rein politischen Gründen – Tarifvertragsparteien privilegiert werden. Selbst in nicht tarifgebundenen Betrieben mit Betriebsrat sollen keine abweichenden Regelungen vereinbar sein. Hier kann nur Hoffnung auf den Lehrsatz gesetzt werden, dass kein Gesetzgebungsvorschlag aus dem Bundestag als Gesetz herauskommt wie er als Entwurf einmal vorgelegt wurde. Der Entwurf sollte Unternehmen, die noch nicht über Zeiterfassungssysteme verfügen, bereits jetzt dazu anregen, ihre Arbeitszeit-Compliance und ihre Arbeitszeiterfassungsregelungen auf den Prüfstand zu stellen, da eine Gesetzgebung zu erwarten steht.
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