Kündigung – Verstoß im Rahmen der Arbeitszeiterfassung
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Verdachtskündigung. Der Kläger war seit 2005 als Assistent bei der Beklagten tätig. Grundsätzlich arbeitete der Kläger Gleitzeit im Gebäude des Jobcenters der Beklagten. Um mobil arbeiten zu können, benötigte er die Zustimmung seiner Vorgesetzten. Die Arbeitszeit wurde gemäß einer Dienstvereinbarung geregelt, wonach die Arbeitszeit entweder an einem stationären Zeiterfassungsgerät im Gebäude oder online am PC erfasst werden sollte. Das Betreten oder Verlassen des Gebäudes sollte entsprechend „gestempelt“ werden.
Im Jahr 2020 wies das Arbeitszeitkonto des Klägers einen erheblichen Negativsaldo auf. Den Vorgesetzten des Klägers fielen an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Oktober 2021 Unstimmigkeiten zwischen den Arbeitszeitbuchungen und der tatsächlichen Anwesenheit des Klägers auf. An Tagen ohne mobiles Arbeiten hatte sich der Kläger morgens online – vermutlich von zuhause - eingebucht, war jedoch tatsächlich nicht in seinem Büro anzutreffen. Dort, im Büro, buchte er sich tatsächlich deutlich später ein. Es wurde auch festgestellt, dass er seit Beginn des Jahres seine Ankunftszeiten online gebucht hatte, obwohl er nicht mobil gearbeitet hatte. Aufgrund des Verdachts auf Arbeitszeitbetrug wurde der Kläger mehrfach schriftlich und mündlich angehört. Der Kläger konnte die Unstimmigkeiten zwischen den online Zeitbuchungen und seiner tatsächlichen Anwesenheit morgens an den drei Tagen im Oktober 2021 nicht schlüssig erklären. Gegen die daraufhin von der Beklagten im Februar 2022 ausgesprochene Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.
Entscheidung
Wie auch schon das Arbeitsgericht zuvor, wies das LAG die Klage ab.
Das LAG begründet seine Entscheidung mit dem dringenden Verdacht, dass der Kläger mehrere Tage lang frühmorgens Arbeitszeiten von zu Hause aus eingetragen habe, ohne tatsächlich mit der Arbeit begonnen zu haben. Der vorsätzliche Verstoß gegen die Verpflichtung, die schwer nachprüfbare Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, stelle grundsätzlich einen wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung dar. Der Arbeitgeber müsse darauf vertrauen können, dass die am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit korrekt erfassen, insbesondere wenn die Verantwortung für die Dokumentation bei den Arbeitnehmern selbst liegt.
Die (auch) für eine ordentliche Kündigung erforderliche Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses objektiv unabdingbare Vertrauen sei bereits aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, sei vorliegend erbracht. Dies sei insbesondere auch deshalb der Fall, weil die Beklagte zumutbare Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts ergriffen und den Kläger dementsprechend angehört habe. Dieser konnte den gegen ihn bestehenden Verdacht nicht ausräumen. Einer Abmahnung – als milderes Mittel – habe es indes nicht bedurft, da die Pflichtverletzung so schwerwiegend gewesen sei, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die Beklagte nach objektiven Maßstäben unzumutbar und auch für den Kläger erkennbar ausgeschlossen war.
Rechtliche Einordnung
In Folge der im ersten Beitrag dieses Newsletters („Referentenentwurf“) erwähnten Entscheidung des BAG zur Arbeitszeiterfassung kündigte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) an, „zeitnah eine praktikable“ gesetzliche Regelung zur Zeiterfassungspflicht zu erarbeiten. Am 18. April 2023 hat das BMAS nun den „Referentenentwurf“ zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt, welcher im Regelfall eine allgemeine elektronische Erfassungspflicht der Arbeitgeber vorsieht.
Bereits jetzt sind elektronische Zeiterfassungssysteme keine Seltenheit. Gerade in Gleitzeitmodellen sind Arbeitgeber auf die korrekte und ehrliche Nutzung dieser Systeme durch die Arbeitnehmer angewiesen. Die vorliegende Entscheidung zeigt auf, dass bereits der Verdacht einer missbräuchlichen Nutzung des Zeiterfassungssystems mit der Absicht der Täuschung über die geleistete Arbeitszeit eine ordentliche Kündigung als sog. Verdachtskündigung rechtfertigen kann. Anhand der erstinstanzlich festgestellten Tatsachen hat das LAG das Vorliegen eines schwerwiegenden Verdachts über den Verstoß der Arbeitszeitdokumentation als so schwerwiegend eingeordnet, dass die Pflichtverletzung sogar eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte.
Vor Aussprache einer Verdachtskündigung sollten Arbeitgeber jedoch alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, den Sachverhalt aufzuklären. Zwingend ist dabei auch eine Anhörung des Verdächtigen.
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