Kündigung eines Betriebsratsmitglieds im Rahmen von Matrixstrukturen
Rechtliche Einordnung
Nach § 15 Abs. 1 KSchG unterliegen Betriebsratsmitglieder einem besonderen Kündigungsschutz. Die ordentliche Kündigung ist ihnen gegenüber nur ausnahmsweise wirksam, beispielsweise, wenn der Arbeitgeber eine „Betriebsabteilung“ (§ 15 Abs. 5 KSchG) stilllegt, bei welcher die betroffene Person beschäftigt ist. Will der Arbeitgeber daher einem Betriebsratsmitglied kündigen, muss er darlegen, dass der geschützte Arbeitnehmer in einer Betriebsabteilung, die stillgelegt wurde/werden soll, beschäftigt wird und es keine Übernahmemöglichkeit gibt.
Die Frage danach, was als „Betriebsabteilung“ zu verstehen ist, stellt sich im vorliegenden Fall im Rahmen heute üblicher Matrixstrukturen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass bestimmte zentrale Funktionen bei einem oder mehreren konzernangehörigen Unternehmen gebündelt und zugleich bei den anderen Konzerngesellschaften minimiert oder gar ganz abgeschafft werden. Damit treten horizontale Verantwortlichkeiten zu den für die einzelnen konzernangehörigen Unternehmen typischen vertikalen Hierarchien hinzu. Funktionen sind über verschiedene Vertragsarbeitgeber hinweg, vielfach über Ländergrenzen hinweg, organisiert. Hier stellt sich die Frage, ob und wie das sich an Betriebsbegriff orientierende Kündigungsschutzgesetz zu einer solchen Struktur passt.
Sachverhalt
Die Beklagte ist ein Unternehmen aus dem Bereich Arzneimittelhandel, welches im Betrieb in C-Stadt regelmäßig ca. 90 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Betrieb der Beklagten ist in eine internationale Matrixstruktur des Konzerns, zu dem die Beklagte gehört, eingebunden. Die 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit 2003 beschäftigt, zuletzt in dem Bereich „IT ERP – Finance & Controlling“. Zu ihren Aufgaben gehörten u.a. die Entwicklung und Implementierung von SAP-Finanzlösungen, die Analyse von Geschäftsprozessen und die Tätigkeit als interner SAP-Berater. Fachlich unterstellt war sie dem „Director ERP – Finance & Controlling“. Dieser war seinerseits Mitglied des weltweit agierenden „Global Information Technology Development Center“ und dabei hauptsächlich in Bangalore/Indien beschäftigt und nicht bei der Beklagten am Standort C-Stadt. Außerdem ist die Klägerin die Vorsitzende des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen.
Die Beklagte entschied im Mai 2022 Aufgaben der Klägerin auf sogenannte „Centers of Excellence“ in Indien, USA und England zu übertragen.
Mit Schreiben vom 27. Juni 2022 kündigte die Beklagte ordentlich das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Dezember 2022. Als Begründung beruft sie sich auf eine Stilllegung der „Betriebsabteilung“ „IT ERP - Finance & Controlling“ in C-Stadt. Die „Betriebsabteilung“ habe allein aus der Klägerin bestanden. Durch eine inzwischen erfolgte Übertragung all ihrer Aufgaben in das „Global Information Technology Development Centre“ in Bangalore/Indien sei sie geschlossen worden.
Die Klägerin wehrte sich mit einer Kündigungsschutzklage, welcher durch die Vorinstanz, dem Arbeitsgericht Hannover, stattgegeben wurde. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein.
Entscheidung
Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Das LAG hält die ordentliche Kündigung der Klägerin als Betriebsratsmitglied für unwirksam. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit der Kündigung gem. § 15 Abs. 5 KSchG seien nicht gegeben, denn der Bereich „IT ERP – Finance & Controlling“, in welchem die Klägerin beschäftigt ist, stelle keine eigene Betriebsabteilung der Beklagten i. S. des § 15 Abs. 5 KSchG dar. Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts definiert das LAG eine Betriebsabteilung als einen „räumlich und organisatorisch abgegrenzten Teil des Betriebs, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt, auch wenn dieser in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs besteht.“
Diese Voraussetzungen sah das LAG vorliegend nicht als gegeben. Da es sich bei der Klägerin um die einzige Mitarbeiterin der von der Beklagten behaupteten Abteilung handle, seien die Abgrenzungskriterien des räumlich abgrenzbaren Teils und der personellen Einheit notwendigerweise untauglich. Ein eigenes Büro der Klägerin lasse hier keine Rückschlüsse auf die Gesamteinbindung zu und auch die Anforderung an eine personelle Einheit – wie beispielsweise gemeinsame Vorgesetzte oder ähnliche Arbeitszeiten – liefen leer. Gleiches gelte für die eigenen technischen Betriebsmittel. Ein eigener Laptop und eine eigene Büroausstattung seien eine Selbstverständlichkeit und ohne Bedeutung für die Annahme einer eigenen Betriebsabteilung.
Schließlich stelle die Klägerin auch keinen organisatorisch abgegrenzten Teil des Betriebs dar. Für die Annahme einer Betriebsabteilung sei es im Rahmen von Matrixstrukturen gerade nicht ausreichend, dass nur eine einzelne Arbeitnehmerin aus einer betriebsübergreifenden Organisationseinheit im Betrieb des Vertragsarbeitgebers beschäftigt sei. Die Klägerin sei nicht organisatorisch selbständig, sondern durch die Beklagte dem Bereich „IT ERP – Finance & Controlling“ zugeordnet und dem „Director ERP Finance & Controller IT D“ unterstellt.
Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass es auch innerhalb von Matrixstrukturen eigene Betriebsabteilungen gebe, doch komme es vorliegend auf die Frage, ob auf der Ebene der Matrixorganisation für Deutschland keine Abteilung IT ERP – Finance & Controlling mehr bestehe, nicht an, da der reine Wegfall der Arbeitsaufgaben, die die Klägerin bisher ausgeführt habe, zur Rechtfertigung der Kündigung nicht ausreiche.
Praxishinweis
Durch die Einführung moderner Matrixstrukturen erhoffen sich Konzerne unter anderem Vorteile in Bezug auf Effizienzgesichtspunkte und Synergieeffekte. Diese stellt Unternehmen arbeitsrechtlich vor besondere Herausforderungen, da diese Strukturen sich nicht einfach in herkömmliche Begriffe des „Betriebs“ einordnen lassen, da Berichtslinien häufig unterschiedlich sind: fachlich an externe Stellen, personell zum Vertragsarbeitgeber. De facto setzt der Vertragsarbeitgeber jedoch häufig nur Anweisungen des auch im Ausland ansässigen Vorgesetzten um. Von Leitung in personellen Angelegenheiten bleibt nicht viel. Einen Betrieb im eigentlichen Sinne mag es nicht geben.
Wenn wie hier dann auch sich die Kategorie „Betriebsabteilung“ nicht mehr finden lässt, führt dies zur arbeitsrechtlichen Konsequenz, dass eine betriebsbedingte Kündigungsmöglichkeit gegenüber einem Betriebsratsmitglied in dieser Konstellation entfällt. Anders ist natürlich die Gesamtschließung des Betriebs zu bewerten.
Artikel als PDF speichern