Heimliche Überwachung des Arbeitnehmers begründet immateriellen Schaden nach DSGVO
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem 1. September 2009 bei der Beklagten im Vertrieb beschäftigt. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 5. August 2021 ein mit einer Änderungskündigung verbundenes Änderungsangebot der Beklagten unter Vorbehalt an. Im Februar 2022 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Mannheim Klage und nahm die Beklagte auf vertragsmäßige Beschäftigung in Anspruch. Am Tage der Klageerhebung meldete der Kläger sich auch krank, weil er sich, so sein Vortrag, außerhalb der Arbeitszeit am Rücken verletzt habe, die seine Tätigkeit im Vertrieb, die lange Autofahrten und sitzend zu verrichten sei, ausschlösse. Die Arbeitsunfähigkeit bestand bis zum 4. März 2022.
Daraufhin ließ die Beklagte den Kläger im Zeitraum vom 25. Februar 2022 bis zum 4. März 2022 durch eine Detektei verdeckt überwachen. Bei der Überwachung wurden vom Kläger Bilder und Filme erstellt, die ihn bei verschiedenen privaten Verrichtungen zeigten, auch im Umfeld seines privaten Wohnens. Unter anderem trug er eine Autobatterie eine steile Treppe hoch, zeigte, wie der Kläger mit dem Auto abfuhr oder auch das Auto mit Gegenständen belud.
Die Beklagte unterstellte dem Kläger eine absichtliche Vortäuschung seiner Arbeitsunfähigkeit und leitete die Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ein. Während der Anhörung wurde der Kläger als Mitarbeiter bezeichnet, der sich jeglicher Arbeit verweigere. Der Arbeitgeber teilte dem Betriebsrat jedoch nicht mit, dass der Kläger Klage auf „vertragsgemäße Beschäftigung“ erhoben habe. Der Betriebsrat erteilte die Zustimmung und der Kläger wurde außerordentlich gekündigt. Der Kläger rügt, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nicht bestanden habe und dass keine ordnungsmäße Anhörung des Betriebsrats erfolgt sei. Außerdem hat er beantragt, die Beklagte wegen der heimlichen Überwachung zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen.
Das Arbeitsgericht Krefeld hat dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben und den Anspruch auf Schmerzensgeld zurückgewiesen. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts legten die Parteien jeweils Berufung ein.
Entscheidung
Das LAG bestätigte insoweit die Unwirksamkeit der Kündigung. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß i.S.d. §102 BetrVG angehört worden, da die Beklagte den Betriebsrat bewusst unvollständig und irreführend unterrichtet habe. Die Beklagte habe lediglich die fehlende Arbeitsbereitschaft des Klägers vor dem Hintergrund der Arbeitsunfähigkeit skizziert und dabei bewusst den Umstand ausgelassen, dass der Kläger zuvor eine vertragsgemäße Beschäftigung – wie vor der ausgesprochenen Änderungskündigung – gerichtlich geltend gemacht habe.
Hinsichtlich des beantragten Schmerzensgeld hatte die Berufung nur teilweise Erfolg, da das LAG dem Kläger zwar Schmerzensgeld zugestand, aber nicht in Höhe der geforderten EUR 25.000. Das LAG sah die Beklagte verpflichtet, dem Kläger gem. Art 82 Abs. 1 DSGVO eine Entschädigung i. H. v. lediglich EUR 1.500 zu zahlen. Gemäß Art 82 Abs. 1 DSGVO habe jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz. Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch seien dem Grunde nach gegeben. Selbst wenn man von einer Erschütterung des Beweiswerts der AU-Bescheinigungen ausgehen wollte, wäre die von der Beklagte veranlasste verdeckte Überwachung des Klägers durch ein Detektivbüro nicht „erforderlich“ gewesen. Sie sei unverhältnismäßig, weil der Beklagten weniger stark in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Aufklärungsmaßnahmen zur Verfügung gestanden hätten wie z. B. umfassende Aufklärungsgespräche mit dem Kläger, bevor die detektivische Überwachung eingeleitet werden konnte. Da sich die Beklagte nicht ausreichend bemüht habe, den Sachverhalt aufzuklären, sei die Datenverarbeitung in Form der Detektivüberwachung des Klägers nicht erforderlich und zugleich unverhältnismäßig. Erst wenn der Kläger – den das LAG als grundsätzlich auskunftswillig einschätzte – weitere Auskünfte verweigert hätte, wäre eine verdeckte Detektivüberwachung in Frage gekommen. Dies gelte unbeschadet des Umstandes, dass ein bloßer Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO nicht zu einem solchen Anspruch führe, hier aber die „verdeckte Observierung selbst schon ein immaterieller Schaden sei“. Der Kläger sei dadurch zum „bloßen Objekt der Datenverarbeitung geworden, der die Kontrolle über seine Daten verliere“.
Bei der Berechnung des immateriellen Schadens sei insbesondere auf die Intensität der Persönlichkeitsverletzung abzustellen, wie insbesondere ob die Beobachtung in Intim-, Privatsphäre oder im öffentlichen Raum erfolgt sei. Auch die Qualität der Beobachtung – lediglich Aufzeichnungen, Foto oder Filmaufnahmen spielten eine Rolle wie auch der Punkt, an wen die Daten weitergegeben wurden. Auch der Präventiveffekt sei bei der Festsetzung zu berücksichtigen.
Praxishinweise
Das LAG macht deutlich, dass zum einen ein bewusstes Weglassen von Tatsachen eine fehlerhafte Unterrichtung des Betriebsrates darstellt. Dies führt zwingend zu einer Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass der Betriebsrat sich stets ein umfassendes Bild zu den Gründen der Kündigung machen kann.
Die Entscheidung konkretisiert die Frage, wann ein immaterieller Schaden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorliegt. Für die Feststellung des immateriellen Schadens gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO bestätigt das LAG die bisherige Rechtsprechung dahingehend, dass ein einfacher Verstoß gegen eine Vorschrift der DSGVO nicht zu einem Schadensersatzanspruch führt. Beachtlich ist, dass als Grenze für das Vorliegen eines immateriellen Schadens ausdrücklich erwähnt wird, dass die betroffene Person nicht zum bloßen Objekt der Datenverarbeitung degradiert werden darf. Gleichwohl erstaunt hier, dass es das LAG bei einer Bemessung des Anspruchs auf EUR 1.500 belässt – ein Betrag, der auch im Verhältnis zur Vergütung des Klägers als eher gering erscheint – auch wenn die Vergütung hier kein Kriterium sein mag.
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