Abgeltung von Urlaubsansprüchen eines GmbH-Geschäftsführers
Sachverhalt
Die Klägerin war seit dem 19. April 2012 auf Grundlage eines Dienstvertrages als Geschäftsführerin bei der Beklagten, die in der Rechtsform einer GmbH organisiert war, angestellt. Ab dem Jahre 2018 wurde die Klägerin in einer zur Unternehmensgruppe gehörenden Geschäftsstelle eingesetzt, um für diese Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten zu erbringen. Der Inhalt und Umfang der Dienst- und Beratungsleistungen, die die Klägerin konkret zu erbringen hatte, wurde von der Geschäftsführung der Beklagten detailliert auf Basis von umfangreichen Weisungen vorgegeben. Demnach hatte die Klägerin die Dienst- und Beratungsleistung in der Zeit von 7:00 Uhr bis 18:00 Uhr zu erbringen. Vormittags musste die Klägerin am Telefon eine sogenannte „Kaltaquise“ durchführen, am Nachmittag hatte sie in eigener Initiative Leistungen anzubieten und wurde im Außendienst, zu Kundenbesuchen und mit Kontroll- und Überwachungsaufgaben betraut. In diesem Zusammenhang hatte die Klägerin wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachzuweisen. Ferner führte die Klägerin Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen.
Der Dienstvertrag sah vor, dass der Klägerin nach sechsjähriger Betriebszugehörigkeit ein Jahresurlaub von 33 Tagen zustehen solle. Im Jahre 2019 nahm die Klägerin elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub. Am 5. September 2019 legte die Klägerin ihr (organschaftliches) Amt als Geschäftsführerin nieder und kündigte das Dienstverhältnis am 25. Oktober 2019 mit Wirkung zum 30. Juni 2020. Bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses erbrachte die Klägerin keine Dienstleistungen mehr und legte der Beklagten entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor.
Die Klägerin machte im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der GmbH u.a. die Abgeltung von 38,5 Urlaubstagen geltend und verlangt von der Beklagten Zahlung in Höhe von EUR 11.294,36 brutto nebst Zinsen. Die Beklagte machte – unter Verweis auf die Geschäftsführerstellung der Klägerin – u.a. die Unzuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit geltend.
Das Arbeitsgericht Minden hat – unter Annahme seiner Zuständigkeit – der Klage auf Zahlung der Urlaubsabgeltung nebst Zinsen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen und ebenso wie das ArbG und LAG zuvor festgestellt, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung nebst Zinsen gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz, BUrlG) zusteht. Nach §7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub, der wegen „Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht gewährt werden“ kann, abzugelten.
In prozessualer Hinsicht bestätigte das BAG die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit – auch unter dem Verweis darauf, dass hier – bei der Auslegung des Arbeitsgerichtsgesetzes es alleine auf die §nationale Rechtsordnung“ ankomme, also nicht auf einen europäischen Arbeitnehmerbegriff.
Im Mittelpunkt der Revisionsentscheidung bzgl. des Anspruchs an sich stand die Rechtsfrage, ob die Klägerin als Arbeitnehmerin im Sinne von § 2 BUrlG zu qualifizieren sei, damit § 7 Abs. 4 BUrlG, der das Vorliegen eines „Arbeitsverhältnisses“ voraussetzt, überhaupt in persönlicher Hinsicht Anwendung finden kann. Die besondere Brisanz der Entscheidung liegt darin begründet, dass die Klägerin als Mitglied des Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft zwar Weisungen unterworfen war, der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung bei einer organschaftlichen Geschäftsführerin mit Leitungsfunktion jedoch geringer ausgeprägt ist als bei einem bei einer Kapitalgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer, der keine Leitungsfunktion ausübt.
Das BAG hat nunmehr klargestellt, dass zur Einordnung der Arbeitnehmereigenschaft von Fremdgeschäftsführern im Bundesurlaubsrecht nicht die im nationalen Recht, namentlich die in § 611a Abs. 1 BGB zugrunde gelegten Maßstäbe zur Weisungsgebundenheit, maßgeblich sind. Vielmehr seien bei der Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs im Sinne von § 2 S. 1 BUrlG die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätze zum Arbeitnehmerbegriff maßgeblich. Dies beruhe auf der Erwägung, dass das BUrlG die Vorgaben des Art. 7 der Europäischen Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitgestaltungs-Richtlinie) umsetze und bei Auslegungsfragen daher die nationale Bestimmung im Lichte des europäischen Rechts ausgelegt werden müsse. Nach Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs hängt die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt sowie von den Umständen ab, unter denen das Leitungsorgan abberufen werden kann. Hierauf aufbauend, hat das BAG im Rahmen einer Gesamtwürdigung festgestellt, dass die Klägerin aufgrund ihrer umfassenden Weisungsgebundenheit und aufgrund der jederzeit möglichen organschaftlichen Abberufung als Geschäftsführerin als Arbeitnehmerin im unionsrechtlichen Sinne gelte. Ein Organ einer Kapitalgesellschaft könne selbst dann als Arbeitnehmer gelten, wenn der Grad der Weisungsabhängigkeit geringer als bei einem Arbeitnehmer des Betriebs sei. Hier sei eine solche Weisungsabhängigkeit ohne Zweifel auf Grund der vorgegebenen Arbeitsaufgaben und Arbeitszeiten gegeben.
Ferner hat das BAG festgestellt, dass die Amtsniederlegung der Klägerin den aus den
§§ 1 und 3 BUrlG folgenden gesetzlichen Urlaubsanspruch unberührt lasse, da die Amtsniederlegung nicht dazu führen würde, dass es der Klägerin unmöglich werde, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Dies gelte hier insbesondere deswegen, weil der Arbeitsvertrag auch Tätigkeiten „unterhalb der Organebene“ vereinbart hätten, wie Beispielsweise Akquise und Kundenbesuche, was auch nach der Niederlegung des Amtes hätte fortgesetzt werden können.
Praxishinweis
Die Entscheidung hat vielschichtige Auswirkungen auf die arbeitsrechtliche Praxis und führt zu einer Ausweitung von Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten gegenüber dem Fremdgeschäftsführer. Zum einen führt die Entscheidung dazu, dass der Fremdgeschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zukünftig aktiv aufgefordert werden muss, den Erholungsurlaub gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG im laufenden Kalenderjahr zu nehmen und zum anderen ihm mitgeteilt werden, dass der Urlaubsanspruch im Falle der Nichtinanspruchnahme verfällt. Es ist daher zu empfehlen, den Fremdgeschäftsführer möglichst im ersten Quartal eines Kalenderjahres entsprechend nachweisbar zu unterrichten, um ihn in die Lage zu versetzen, seinen Erholungsurlaub tatsächlich im Laufe des Kalenderjahres nehmen zu können. Dies ist dadurch zu bewerkstelligen, dass er wie die Arbeitnehmer des Betriebes informiert wird.
Ferner zeigt die Entscheidung richtungsweisend auf, dass im Anwendungsbereich von nationalen Umsetzungsgesetzen, die auf einem europäischen Rechtsakt beruhen und die in persönlicher Hinsicht auf ausschließlich auf Arbeitnehmer Anwendung finden, allein der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich sein kann, also der Arbeitnehmerbegriff anders als nach rein nationalem Recht zu definieren ist.
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