Diskriminierung eines Bewerbers: Nichtanhörung der Schwerbehindertenvertretung
Sachverhalt
Dem Kläger wurde im Jahr 2019 ein Grad der Behinderung von 40 zuerkannt. Er studiert an einer Hochschule im Fach Sozialrecht. Im Juli 2020 bewarb er sich auf ein durch die beklagte Agentur für Arbeit ausgeschriebenes Förderprogramm für Studierende, die dann zur Einstellung bei der Bundesagentur vorgesehen waren.
Das Programm umfasste zunächst eine monatliche Förderung in Höhe von EUR 880 sowie Praxisphasen in Niederlassungen der Beklagten in der vorlesungsfreien Zeit, die mit einer monatlichen Zahlung in Höhe von EUR 1.570 vergütet werden sollten. Ebenfalls im Juli 2020 stellte der Kläger einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Während des im August 2020 stattfindenden Auswahlgesprächs für das Förderprogramm wies der Kläger auf den durch ihn gestellten Gleichstellungsantrag hin. Die Beklagte erteilt ihm kurze Zeit später eine telefonische Absage. Erst im September 2020 wurde der Gleichstellungsantrag beschieden und der Kläger rückwirkend zum 31. Juli 2020 einem Menschen mit Schwerbehinderung gleichgestellt.
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aufgrund einer Behinderung an den Kläger zu zahlen hat. Der Kläger ist der Auffassung, er sei aufgrund seiner Behinderung benachteiligt worden. Die Beklagte sei nach dem Hinweis des Klägers auf seinen gestellten Gleichstellungsantrag verpflichtet gewesen, die einschlägigen Vorschriften zum Schutz schwerbehinderter und diesen gleichgestellten Menschen anzuwenden, nämlich die Schwerbehindertenvertretung einzuschalten. Stattdessen habe sie kurz nach dem Auswahlgespräch abgesagt.
Das Arbeitsgericht (ArbG) Nürnberg und das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg wiesen die Klage sowie die Berufung zurück.
Entscheidung
Die Revision des Klägers vor dem BAG hat keinen Erfolg (Urteil vom 23.11.2023 – 8 AZR 212/22). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG gegen die Beklagte. Das Gericht stellt keine Benachteiligung aufgrund der Behinderung des Klägers fest. Diese resultiere insbesondere nicht aus einem Verstoß der Beklagten gegen die Pflicht zur Anwendung von Verfahrensvorschriften zugunsten schwerbehinderter und diesen gleichgestellten Personen.
Das BAG bestätigt zunächst, dass der persönliche Anwendungsbereich des AGG für den Kläger eröffnet sei. Auch die zur Berufsbildung Beschäftigten seien als Beschäftigte im Sinne des AGG anzusehen. Berufsbildung meint hierbei nicht eine Berufsausbildung im engeren Sinne des § 1 BBiG, z.B. „Auszubildende“, sondern sie umfasst auch Personen, die im Sinne des § 26 BBiG eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben. Insbesondere Praktikanten sind hier gemeint. Ferner weist das BAG darauf hin, dass der Begriff des „Beschäftigungsverhältnisses“ im Sinne des AGG auch ein Förderprogramm umfassen könne.
Die Absage der Beklagten gegenüber dem Kläger hinsichtlich des Förderprogramms stelle grundsätzlich eine Benachteiligung dar. Weiterhin sei jedoch erforderlich, falls der Anspruch gegeben sein solle, dass diese Benachteiligung gerade auf der Behinderung des Klägers beruhe, nicht auf anderen Gründen. Diesen, für einen Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Benachteiligung und der Behinderung, verneinte das Gericht.
Zur Glaubhaftmachung eines Kausalzusammenhangs muss der Kläger dem Gericht einschlägige Indizien vortragen, die eine Benachteiligung gerade wegen der Behinderung vermuten lassen. Das BAG stellt im Sinne seiner stetigen Rechtsprechung zwar klar, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und allgemeinen Förderpflichten, die zum Schutz von schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Personen bestimmt sind, grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund der Behinderung begründe.
Hierfür müsste sich der Kläger im konkreten Fall aber auch auf einen Verstoß gegen solche ihn schützenden Vorschriften berufen können. Der Kläger hatte sich diesbezüglich auf eine von Bestimmungen berufen, nach der ein Arbeitgeber zur Unterrichtung der betrieblichen Schwerbehindertenvertretung verpflichtet ist, wenn eine Angelegenheit eine schwerbehinderte Person betrifft.
Diese Vorschriften hält der Senat auf den Kläger aber nicht für anwendbar. Der Kläger gelte wegen seines zugewiesenen Grades der Behinderung von 40 nicht als schwerbehinderte Person und er sei zum Zeitpunkt des Bewerbungsverfahrens auch nicht einer schwerbehinderten Person gleichgestellt gewesen. Vorschriften zum Schutz schwerbehinderter Personen werden insbesondere im 3. Teil des SGB IX aufgeführt. Das BAG stellt aber klar, dass der Anwendungsbereich dieser schützenden Vorschriften erst eröffnet sei, wenn eine Schwerbehinderung vorliegt. Hierauf bleibe auch ohne Auswirkung, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Bewerbungsverfahrens bereits einen Gleichstellungsantrag gestellt hatte und dieser im September 2020 positiv beschieden wurde. Selbst die Rückwirkung dieses Bescheides könne hieran nichts ändern, weil die Rückwirkung erst mit dem Bescheid begründet werde und daher im Laufe des Bewerbungsverfahrens noch nicht eingetreten sei. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, nach Unterrichtung über den Gleichstellungsantrag quasi vorsorglich die Schwerbehindertenvertretung einzuschalten.
Praxishinweis
Der erkennende 8. Senat schließt sich der Rechtsprechung des 7. Senats aus dem Jahr 2020 an (BAG-Urteil vom 22.1.2020 – 7 ABR 18/18). Nach dieser ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, vorsorglich die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, wenn von einer Angelegenheit eine Person betroffen ist, über deren gestellten Gleichstellungsantrag noch nicht entschieden ist. Auch eine explizite Unterrichtung des Arbeitgebers über die Stellung des Antrags verpflichtet ihn noch nicht. Vorsicht bleibt dennoch geboten, wenn der Bewerber den Gleichstellungsantrag frühzeitig stellt und daher eine etwaige positive Entscheidung über diesen in den Lauf des Bewerbungsverfahrens fällt. Mit ihr erwachsen die umfangreichen Pflichten des Arbeitgebers aus dem 3. Teil des SGB IX.
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