AGG-Hopping: Die „provozierte“ Absage – Entschädigung?
Sachverhalt
Im Januar 2023 bewarb sich der Kläger, der im Ruhrgebiet wohnte, unter Hinweis auf sein Abitur und einen Abschluss als Industriekaufmann, auf eine ausgeschriebene Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ in Niedersachsen. Nachdem er keine Rückmeldung erhielt, erhob er vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Dortmund Klage mit dem Begehren einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung aufgrund seines Geschlechts. Die Bewerbungsmail enthielt sprachliche Fehler. Die Absage erfolgte mit der Begründung, es werde eine Dame gesucht. Das ArbG Dortmund wies die Klage ab, da dem Entschädigungsbegehren des Klägers der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehe.
In den vergangenen Jahren hatte sich der Kläger fortlaufend auf zahlreiche geschlechtsspezifische Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ beworben und anschließend Entschädigungsprozesse wegen einer Geschlechtsdiskriminierung geführt. Das ArbG Dortmund war nicht das erste Gericht, das diesem Vorgehen des Klägers den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhielt. Bereits die ArbG Hagen (Urteil vom 06.04.2022 – 2 Ca 1421/21) und das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20.01.2023 – 3 Sa 898/22) hatten unterschiedliche Klagen des Klägers unter Verweis auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen abgewiesen. Obwohl der Kläger sein Vorgehen „angepasst“ hatte, um die Rechtsmissbrauchsmerkmale konkret zu umgehen, blieb er auch in diesem Entschädigungsprozess vor dem LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 - 6 Sa 896/23, erfolglos.
Entscheidung
Das LAG Hamm lässt es dahinstehen, ob und in welcher Höhe der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG bestehen könnte. Jedenfalls stehe einer prozessualen Geltendmachung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung aus § 242 BGB entgegen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in unterschiedlichen Entscheidungen über Entschädigungsansprüche nach dem AGG Kriterien entwickelt, die eine unzulässige Rechtsausübung begründen können. Hiernach müssen einerseits objektive Tatsachen vorliegen, die auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten hindeuten. Andererseits muss ein subjektives Element im Sinne einer Absicht des Klägers erkennbar werden. Bereits in einer Urteil des BAG aus dem Jahr 2016 (Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 4/15) wurde deutlich, dass ein Rechtsmissbrauch insbesondere dann in Betracht kommt, wenn sich ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen feststellen lässt und die Person sich durch die Rechtsverfolgung einen auskömmlichen „Gewinn“ aus den Entschädigungen erwirtschaften will. Diese Kriterien liegen nach Ansicht des LAG Hamm auch in dem zu entscheidenden Fall vor.
Als objektive Kriterien zieht die Kammer mehrere Tatsachen heran. Bereits die Entfernung zwischen Wohnort und potenzieller Arbeitsstelle spreche gegen ein echtes Interesse des Klägers. Zum anderen ergebe eine Auslegung des Bewerbungsanschreibens, dass der Kläger eine Absage durch die Beklagte provozieren wolle. Das sprachlich fehlerhafte Bewerbungsanschreiben nahm keinen Bezug auf die Stellenausschreibung der Beklagten und eine behauptete siebenjährige Berufserfahrung wurde nicht durch Zeugnisse oder ähnliches verifiziert. Zwar könne eine qualitativ schwache Bewerbung nicht per se als Begründung dafür herangezogen werden, dass der Bewerber ausschließlich Entschädigungsansprüche verfolge. Sie könne aber nach der Rechtsprechung des BAG ein Indiz dafür sein, dass der Bewerber eine tatsächliche Einstellung nicht begehre.
Als gewichtigsten objektiven Umstand zieht das Gericht die bisherige Prozesshistorie des Klägers heran. Um hieraus den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs abzuleiten, so das Gericht, seien hohe Anforderungen zu stellen. Schließlich bedeute jeder geführte Prozess auch ein Kostenrisiko für den Kläger, sodass nicht ohne weiteres von einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung ausgegangen werden könne. Im zu entscheidenden Fall sei jedoch regelrecht ein Geschäftsmodell des Klägers erkennbar, wenn er sich laufend und deutschlandweit auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ bewirbt. Nach einer durch die Art und Weise seiner Bewerbung provozierten Absage, versuche er Entschädigungsansprüche durchzusetzen, um im Ergebnis seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dieses Vorgehen habe der Kläger sogar zu einem „Geschäftsmodell 2.0“ fortentwickelt, indem er sein Anschreiben auf Grundlage der in vorigen Prozessen gewonnen Erkenntnisse anpasste.
Gegen die Verwertung seiner bisherigen Prozesshistorie hatte der Kläger eingewendet, dass diese einem daten- bzw. grundrechtlichen Verwertungsverbot unterliegen. Dem tritt das LAG entgegen: Die Beklagte habe die Informationen über die vorherigen geführten Prozesse des Kläger nicht durch grundrechtswidrige Eingriffe erlangt, sondern vielmehr durch eine allgemeine Recherche und die Auswertung juristischer Datenbanken. Da die Beklagte die Darlegungslast für das Vorliegen von Indizien trägt, die auf einen Rechtsmissbrauch hindeuten, ist sie insoweit auf die Beschaffung von Informationen angewiesen.
Das subjektive Element sieht das LAG ebenfalls als gegeben. Bereits die objektiven Umstände stritten dafür, dass der Kläger die Absicht verfolge, sich einen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass er den Bewerberstatus im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG herbeiführt. Als gewichtig sieht die Kammer zudem den Umstand an, dass der Kläger bis zuletzt nicht hinreichend vorgetragen habe, welche Motive, außer der Entschädigungszahlung, ihn zur Bewerbung auf die konkrete ausgeschriebene Stelle bewogen hätten.
Praxishinweis
Die Entscheidung des LAG Hamm zeigt eine konsequente Anwendung der durch das BAG entwickelten Kriterien zur Annahme eines rechtsmissbräuchlichen AGG-Hopping. Gleichwohl sind hohe Anforderungen an den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu stellen. Er ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt hat und mehrere Entschädigungsprozesse führt. Bei dem Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung trifft den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Nicht nur deshalb sind Arbeitgeber gut beraten, auf die AGG-konforme Formulierung ihrer Stellenanzeigen zu achten. Bei Geltendmachung von Ansprüchen kann jedoch eine nähere Analyse des Hintergrundes des Anspruchstellers lohnend sein, bevor auch eine vermeintlich geringe Zahlung geleistet wird.
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