BAG mit letztem Wort zum AGG-Hopping
Sachverhalt
Der männliche Kläger erhielt auf seine Bewerbung auf eine ausgeschriebene Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ von der Beklagten keine Rückmeldung.
Da die Stelle unterdessen mit einer Frau besetzt wurde, ging der Kläger davon aus, dass die Ablehnung aufgrund seines Geschlechts erfolgt war und erhob vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Dortmund Klage mit dem Antrag, die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu erhalten. Das ArbG wies die Klage ab, ebenso das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm auf die Berufung des Klägers. In den Jahren zuvor hatte sich der Kläger fortlaufend auf zahlreiche geschlechtsspezifische Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ beworben und anschließend Entschädigungsprozesse wegen einer Geschlechtsdiskriminierung geführt. Das ArbG Dortmund war nicht das erste Gericht, das diesem Vorgehen des Klägers den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhielt. In den Jahren 2022 und 2023 hatten unterschiedliche Instanzgerichte in der gesamten Bunderepublik unterschiedliche Klagen des Klägers unter Verweis auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen abgewiesen.
Der Kläger hatte sein Bewerbungsschreiben immer wieder angepasst, um nach bereits bei anderen Gerichten erfolgreich geführten Entschädigungsprozessen die Rechtsmissbrauchsmerkmale konkret zu umgehen. Das BAG hatte daher in letzter Instanz über sein Entschädigungsbegehren zu entscheiden.
Entscheidung
Doch auch das BAG bestätigte nun die Auffassung des LAG Hamm und urteilte, dass einem Entschädigungsanspruch des Klägers der durchgreifende Einwand des Rechtsmissbrauchs aus § 242 BGB entgegensteht.
Der Senat wird hierbei nicht müde zu betonen, dass die Anforderungen an eine solche Einordnung nach seiner durchgehenden Rechtsprechung sehr hoch sind. Auf einen Rechtsmissbrauch könne nicht bereits deshalb geschlossen werden, weil eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt habe. Vielmehr wandte das BAG seine eigenen, durch gefestigte Rechtsprechung entwickelten Grundsätze an: Für die Einordnung eines AGG-Sachverhaltes als Rechtsmissbrauch ist stets erforderlich, dass der Bewerber objektive und subjektive Merkmale verwirklicht, die darauf schließen lassen, dass es ihm nicht auf den tatsächlichen Schutz des AGG ankommt, sondern nur darum geht, eine auskömmliche Einnahmequelle durch eine Vielzahl an Entschädigungsverfahren zu generieren.
Als objektive Anhaltspunkte sieht das BAG vor allem die auffälligen Fehler und teilweise nichtssagenden Formulierungen im Anschreiben des Klägers. Auch hatte der Kläger stets keine Anlagen zur Bewerbung übersendet. Den gewichtigsten Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch sieht das BAG – ebenso wie bereits das LAG Hamm – jedoch darin, dass der Kläger seit mehr als zwei Jahren Entschädigungsverfahren nach dem immer wiederkehrenden Muster führt. Hierfür war er bereits bei den Arbeitsgerichten in Düsseldorf, Marburg, Berlin, Hamburg und Dortmund bekannt. Aus der Vielzahl der Bewerbungsverfahren folgerte der Senat, dass ein ernsthaftes Interesse des Klägers an der jeweiligen Einstellung nicht glaubhaft sei. Schließlich lagen die kontaktierten Unternehmen teilweise mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt und in nahezu allen Bewerbungsschreiben gab der Kläger an, er suche in der jeweiligen Umgebung grade nach einer Wohnung.
Auch die subjektive Absicht des Klägers sei darauf ausgerichtet gewesen, sich unter dem Schutz des AGG ungerechtfertigt bereichern zu wollen. So hatte der Kläger mit jeder Bewerbung auf nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellenausschreibungen seine Anschreiben minimal angepasst, um die Merkmale eines Rechtsmissbrauchs, die dem Kläger schon in vorangegangenen Verfahren vorgeworfen waren, zu eliminieren. In diesem systematischen und zielgerichteten Geschäftsmodell sehen die Richter den gewichtigsten Anhaltspunkt für eine entsprechende Absicht.
Vor dem Hintergrund dieser Umstände sah der Senat die Schutzbedürftigkeit des Klägers vor Benachteiligung beim Zugang zur Erwerbstätigkeit nicht mehr gegeben. Es sei erkennbar, dass es ihm in keinem der Bewerbungsverfahren darum gegangen sei, die betreffende Stelle zu erhalten, sondern nur die formale Position eines Bewerbers zu erlangen und nach einer regelrecht „provozierten Absage“ eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen.
Schließlich hatte der Kläger mit der Revision noch beanstandet, dass die durch die Beklagte beschafften Informationen über das bisherige Bewerbungsverhalten und die Prozesshistorie des Klägers in dem Verfahren nicht hätten verwertet werden dürfen. Nach ausführlicher Prüfung bestätigte der Senat aber, dass das Interesse der Beklagten, rechtsmissbräuchliche Entschädigungsansprüche zu erkennen und abzuwehren gegenüber dem Interesse des Klägers am Schutz seiner personenbezogenen Daten überwiegt. Außerdem hatte die Beklagte sich darauf beschränkt, anonymisierte Informationen über die Vergangenheit des Klägers aus allgemein und öffentlich zugänglichen gerichtlichen Urteilen zu erheben.
Praxishinweis
Das BAG bleibt seiner Rechtsprechung treu. Denn die Entscheidung zeigt vor allem eines: Die Anforderungen an einen durchgreifenden Einwand des Rechtsmissbrauchs sind hoch und die entsprechende Darlegungs- und Beweislast trägt der beklagte Arbeitgeber. Die effektivste Maßnahme gegen Entschädigungsansprüche dieser Art dürfte das konsequent geschlechtsneutrale Ausschreiben von Stellenangeboten sein, welche durch den Zusatz (m/w/d) ergänzt werden können. Die Entscheidung zeigt nämlich auch, dass in den Jahren 2022 und 2023 immer noch eine beachtliche Anzahl nicht geschlechtsneutral ausgeschriebener Stellenangebote auf dem Arbeitsmarkt zu finden war.
Ferner zeigt sich, sollte ein Arbeitgeber solchen Ansprüchen ausgesetzt sein, dass es sich lohnen kann, ausgiebig den Hintergrund des Scheinbewerbers zu erforschen, um dann anhand aufgefundener Indizien, einen solchen Anspruch abwehren zu können.
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Jonas Anders, LL.M.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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