Wirksamkeit einer Sachgrundbefristung bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem 19. Oktober 2020 auf Grundlage eines befristeten und sodann dreimal – zuletzt bis zum 30. April 2022 – verlängerten Arbeitsvertrags als Paketzusteller bei der Beklagten beschäftigt. Am 23. April 2022 informierte der Kläger den zuständigen Niederlassungsleiter darüber, dass er während der Paketentladung „mit dem Körper abgestürzt“ sei, einen Nabelbruch erlitten habe und deswegen im Krankenhaus operiert werden müsse. Daraufhin erhielt der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 23. April 2022 bis voraussichtlich 5. Mai 2022, die er dem stellvertretenden Niederlassungsleiter vorlegte. Inwieweit der Kläger die Beklagte hierbei darüber hinaus über die voraussichtliche Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit informiert hatte, blieb zwischen den Parteien streitig. Der stellvertretende Niederlassungsleiter ließ dem Kläger sodann einen weiteren, aufseiten der Beklagten unterzeichneten Arbeitsvertrag vom 27. April 2022 zukommen, der vom 1. Mai 2022 bis zum 28. Mai 2022 befristet war. Als Grund für die Befristung war im Vertrag die „Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters S, L, M H“ angegeben, die im genannten Zeitraum nacheinander Urlaub hatten. Der Kläger blieb während des gesamten Zeitraums dieses letzten befristeten Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt.
Mit seiner Klage beim Arbeitsgericht (ArbG) Oldenburg machte der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung geltend. Er vertrat die Auffassung, der Sachgrund der Befristung sei lediglich vorgeschoben gewesen. Es habe von vornherein festgestanden, dass er krankheitsbedingt über die gesamte Dauer des befristeten Vertrags ausfallen werde und die genannten Mitarbeiter nicht werde vertreten können. Das ArbG wies die Klage zunächst ab. Zweitinstanzlich hielt das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen die Befristung für unwirksam. Bei lebensnaher Interpretation der WhatsApp-Nachricht vom 23. April 2022 hätte die Beklagte sicheres Wissen von einer mehrwöchigen Dauererkrankung des Klägers erlangt haben müssen. Mit ihrer Revision begehrte die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidung
Im Ergebnis gab das BAG der Beklagten Recht und hob die Entscheidung des LAG auf. Die Befristung des Arbeitsvertrags war vorliegend durch den Sachgrund der Vertretung eines anderen Arbeitnehmers gem. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt.
Laut BAG liegt der Grund für die Befristung in Vertretungsfällen darin, dass der Arbeitgeber bereits in einem Rechtsverhältnis mit einem vorübergehend ausgefallenen Mitarbeiter steht und mit dessen Rückkehr rechnet, sodass die Notwendigkeit einer Vertretungskraft von Anfang an nur von zeitlich begrenzter Dauer ist. Voraussetzung einer Befristung ist nach ständiger Rechtsprechung deshalb ein Kausalzusammenhang zwischen dem zeitlichen Ausfall einer Stammarbeitskraft und der befristen Einstellung eines Vertreters. Steht bereits bei Vertragsabschluss fest, dass der Vertreter während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsvertrags die von ihm geschuldete Arbeitsleistung wegen Arbeitsunfähigkeit nicht wird erbringen können und ist dies dem Arbeitgeber bekannt, liegt der erforderliche Kausalzusammenhang nicht vor. Grund dafür ist, dass da die Vertretungsleistung nicht erbracht werden kann.
Gemessen an diesem Maßstab bejahte das BAG im vorliegenden Fall jedoch den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen dem Vertretungserfordernis und der Verlängerung.
Kenntnis des mangelnden Kausalzusammenhangs läge nur dann vor, wenn sich der Arbeitgeber gewiss sein musste, dass der Vertreter für die gesamte befristete Vertragsdauer eine Vertretertätigkeit nicht auszuführen vermag. Die Beklagte habe aber keine sichere Kenntnis über diesen Umstand gehabt. Hinsichtlich der Dauer der Arbeitsunfähigkeit sei im Rahmen des § 14 Abs. 1 TzBfG eine Prognose anzustellen gewesen. Allein maßgeblich für diese Prognose sei laut BAG die ärztlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewesen, die dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeit lediglich bis zum 8. Mai 2022 attestierte. Danach musste sich die Beklagte nicht gewiss sein, den Kläger überhaupt nicht als Vertreter beschäftigen zu können.
Zwar sei der Beklagten das Wissen ihrer (stellvertretenden) Niederlassungsleiter in entsprechender Anwendung des § 166 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zuzurechnen. Entgegen der Auffassung des LAG käme es aber gar nicht auf die Textnachricht des Klägers vom 23. April 2022 oder etwaige weitere Mitteilungen über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit an die Beklagte und ihre Niederlassungsleiter an. Die Textnachricht ließe schon aus sich heraus nicht zwingend auf eine bis zum Ende der Vertragsdauer anhaltende Arbeitsunfähigkeit des Klägers schließen. Doch selbst, wenn der Kläger darüber hinaus telefonisch weitergehende Angaben zu der Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit gemacht haben sollte, begründeten sie angesichts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allenfalls eine Ungewissheit der Beklagten. Aus anderweitigen, einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung widersprechenden Angaben eines Arbeitnehmers, der in der Regel medizinischer Laie ist, müsse der Arbeitgeber grundsätzlich nicht den Schluss ziehen, es bestünde „gesichert“ eine die Dauer der gesamten befristeten Einstellung bestehende Arbeitsunfähigkeit. Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nach stetiger Rechtsprechung das wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Diese Wertung impliziert laut BAG für Konstellationen wie diese, dass bei der Frage des arbeitgeberseitigen Kenntnisstands grundsätzlich auf den Inhalt der ihm vor Abschluss des befristeten Vertrags zur Kenntnis gelangten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzustellen ist.
Ausblick und Praxishinweis
Mit der Entscheidung bestätigt das BAG seine frühere Rechtsprechung, wonach es zwingend eines Kausalzusammenhangs zwischen dem vorübergehenden Ausfall eines Mitarbeiters und der befristeten Einstellung seines Vertreters bedarf. Gleichzeitig legt das BAG diesen Kausalzusammenhang in seinem Urteil nunmehr weit aus. Nur, wenn sich der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewiss sein musste, dass der Vertreter während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsvertrags arbeitsunfähig sein würde, kann die Befristung vorgeschoben und damit unwirksam sein. Wann Gewissheit vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Fest steht nach dem Urteil des BAG aber, dass der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch in diesem Zusammenhang eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.
Arbeitgeber sollten vor dem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags daher in jedem Fall sorgfältig prüfen, ob die als Vertreter vorgesehene Person tatsächlich in der Lage ist, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Andernfalls besteht das Risiko, dass der Arbeitsvertrag wegen unwirksamer Befristung gem. § 16 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt.
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