Anspruch auf Homeoffice als milderes Mittel zur Änderungskündigung?
Sachverhalt
Der Kläger war seit 2008 bei der Beklagten an einem festen Standort beschäftigt, welchen diese aus wirtschaftlichen Gründen nunmehr schließen wollte. In Umsetzung dieser Entscheidung sprach sie gegenüber den dort beschäftigten Arbeitnehmern, darunter auch der Kläger, eine Änderungskündigung zum 31. Oktober 2024 aus und bot diesen an, das Arbeitsverhältnis zu ansonsten gleichbleibenden Bedingungen an einem anderen, ca. 240 Kilometer entfernten Standort der Beklagten fortzusetzen.
Diese Änderungskündigung ging dem Kläger am 17. April 2024 zu. Er nahm das Angebot unter dem Vorbehalt an, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sei und ihm gestattet werde, seine Tätigkeit vollumfänglich von zu Hause aus zu erbringen. Gegen Erstattung von Fahrtkosten sei er bereit, von dort aus bei Bedarf monatlich zu Besprechungen vor Ort anzureisen.
Mit der anschließend vor dem Arbeitsgericht (ArbG) erhobenen Kündigungsschutzklage machte der Kläger geltend, dass die betriebsbedingte Änderungskündigung unwirksam sei, weil die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, ihm als milderes Mittel die vollständige Erbringung seiner Arbeitsleistung von seinem Wohnsitz aus anzubieten. Seine Tätigkeit lasse dies unproblematisch zu und erfordere keine physische Anwesenheit am Arbeitsplatz. Er habe bisher ohnehin bereits mehrere Tage pro Woche aus dem Homeoffice heraus gearbeitet, ein Umzug sei ihm zudem – und unter anderem deswegen – nicht zumutbar.
Tatsächlich war der Kläger bereits seit der Corona-Pandemie mehrere Tage pro Woche im Homeoffice tätig. Der genaue Umfang blieb streitig. Unstreitig war jedenfalls, dass er nicht ausschließlich von zu Hause aus arbeitete, sondern regelmäßig mehrere Tage vor Ort im Betrieb tätig war.
Die Beklagte wandte ein, dass die ausschließliche Beschäftigung im Homeoffice kein milderes Mittel zur ausgesprochenen betriebsbedingten Änderungskündigung darstelle, welches sie hätte berücksichtigen müssen. Zum einen wolle sie den Anteil an Homeoffice-Tätigkeiten generell reduzieren, da sie negative Auswirkungen auf die Produktivität der Mitarbeiter festgestellt habe und ein Zusammenarbeiten vor Ort für sinnvoller und produktiver halte. Zum anderen sei auch gerade die Tätigkeit des Klägers ungeeignet für eine ausschließliche Ausübung aus dem Homeoffice heraus, da dieser unter anderem in leitender Position Mitarbeiter fachlich und disziplinarisch anleiten und teilweise mit nicht digital verfügbaren Daten arbeiten müsse.
Das ArbG gab der Beklagten Recht und wies die Klage ab. Die Änderungskündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt und somit wirksam, die Einrichtung eines vollständigen Homeoffice-Arbeitsplatzes stelle insofern kein milderes Mittel dar, welches dem Kläger hätte angeboten werden müssen.
Hiergegen legte der Kläger am 14. August 2024 Berufung beim LAG Baden-Württemberg ein.
Entscheidung
Das LAG bestätigte die Entscheidung des ArbG und wies die Berufung zurück.
Da der Kläger zuvor lediglich tageweise und nicht vollständig aus dem Homeoffice gearbeitet habe, existiere ein solcher Arbeitsplatz, welcher eine vollständige Homeoffice-Tätigkeit vorsehe und dem Kläger als milderes Mittel zu einer betriebsbedingten Kündigung angeboten werden könne, bei der Beklagten nicht.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Schaffung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes, welchen er einer betriebsbedingten Kündigung mit Erfolg entgegenhalten könne. Dem stehe die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Beklagten als Arbeitgeberin entgegen. Soweit eine vertragliche Vereinbarung über die Tätigkeit aus dem Homeoffice nicht getroffen wurde, unterliegt die Frage, ob und inwiefern Arbeitnehmer ihre Tätigkeit außerhalb des Betriebsgeländes nachkommen dürfen, ausschließlich dem Weisungsrecht des Arbeitgebers aus § 106 S. 1 GewO. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Homeoffice bestehe nach derzeitiger Rechtslage nur in seltenen Ausnahmefällen, wenn die Gestattung von Homeoffice die einzig ermessensfehlerfreie Ausübung dieses Weisungsrechts darstellt, etwa in familiären Notsituationen oder bei erheblichem Krankheitsrisiko im Betrieb.
Wenn der betroffene Arbeitnehmer bisher aufgrund einer vertraglichen Regelung ausschließlich im Homeoffice arbeiten konnte, müsse ein Arbeitgeber im Rahmen der Rechtsmissbrauchskontrolle zudem erklären, weshalb diese Option des Homeoffice bei einer Verlagerung der Betriebsstätte ausscheidet. Ein solcher Fall lag hier jedoch nicht vor.
Das LAG ließ offen, ob ein Anspruch auf Schaffung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes dann entstehen kann, wenn dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit an dem geänderten Betriebssitz aus persönlichen Gründen nicht möglich ist. Zu derartigen persönlichen Umständen hatte der Kläger allerdings nicht hinreichend konkret vorgetragen. Er lehnte einen Umzug lediglich generell ab.
Einordnung und Praxishinweis
Das LAG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugelassen, sodass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Sache abzuwarten bleibt.
Interessant ist die vorliegende Entscheidung insbesondere auch deshalb, weil das LAG Köln (Urt. v. 11. Juli 2024, Az. 6 Sa 579/23) nur wenige Monate zuvor in einem ähnlichen Fall zu einer anderen Einschätzung gelangt war: Die Versetzung eines Arbeitnehmers, der zuvor etwa 80 Prozent seiner Arbeit im Homeoffice erledigt hatte, an einen 500 Kilometer entfernten Standort aufgrund einer Standortschließung und der gleichzeitige Widerruf der Homeoffice-Erlaubnis sowie die hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung seien unwirksam. Dies überschreite die Grenze des billigen Ermessens gemäß § 106 GewO. Anders als nun im vorliegenden Fall vor dem LAG Baden-Württemberg hatte der Arbeitgeber dort jedoch gerade nicht dargelegt, warum die Arbeit aus dem Homeoffice künftig nicht mehr erwünscht sei. Auch war der Arbeitnehmer denkbar kurzfristig, erst Ende März 2023, darüber informiert worden, dass er seine Arbeitsleistung schon ab Mai 2023 an dem anderen Standort erbringen sollte.
Arbeitgebern bleibt somit anzuraten, sowohl gegenüber Arbeitnehmern als auch vor allem im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen über Homeoffice-Möglichkeiten, stichhaltige und sachliche Argumente anzuführen, die ihre Entscheidung gegen eine (vollständige) Tätigkeit im Homeoffice erklären.
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