Kündigung unwirksam wegen fehlenden Hinweises auf Drei-Wochenfrist?
Rechtlicher Hintergrund
Nach Artikel 5 der Arbeitsbedingungen-Richtlinie (2019/1152/EU) ist der Arbeitgeber verpflichtet den Arbeitnehmer über die wesentlichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten, wozu auch das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren, einschließlich der formellen Anforderungen und die Länge der Kündigungsfristen gehört.
Wird der Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers gekündigt, hat er gemäß nationalem Recht (§4 S.1 KSchG) drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass die Kündigung unwirksam sei. Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, §7 KSchG. Nach den §§623, 125 BGB hat eine Kündigung zudem in Schriftform zu erfolgen, andernfalls ist sie unwirksam. Die Kündigung muss daher von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden. Eine e-Signatur oder eine Mail reichen nicht.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit dem 18. Februar 2002 im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bei dem beklagten Verein als Übungsleiterin beschäftigt. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. August 2020, das der Klägerin am 31. August 2020 zuging.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage. Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Kündigung sei unwirksam, da sie nicht den Erfordernissen der „Richtlinie 2019/1152/EU über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union“ entspreche.
Die Klägerin begründete dies damit, dass zu den Informationspflichten, die den Arbeitgeber nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Richtlinie treffe, es gehöre, den Arbeitnehmer über die dreiwöchige Klagefrist gemäß § 4 KSchG zu unterrichten. Da diese Informationen in den Arbeitsverträgen, die die Parteien abschlossen, nicht enthalten und auch nicht zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung durch den Beklagten erfüllt worden seien (dies ist zwischen den Parteien unstreitig), liege ein Verstoß gegen die Arbeitsbedingungen-Richtlinie vor. Dieser Verstoß, so die Klägerin, ziehe die Rechtsfolgen nach sich, dass die Kündigung nicht dem Schriftformerfordernis nach § 623 BGB entspreche und nichtig sei. Dieses Ergebnis rechtfertige sich aus der notwendigen richtlinienkonformen Auslegung des § 623 BGB vor dem Hintergrund des Frustrationsverbotes, das die Mitgliedstaaten verpflichte, alle Maßnahmen zu unterlassen, die geeignet seien, die Erreichung der in einer Richtlinie vorgeschriebene Ziele ernsthaft zu gefährden. Diese Unterlassungspflicht richte sich auch an die innerstaatlichen Gerichte.
Entscheidung
Das LAG, Urteil vom 10. März 2022 (Az. 18 Sa 1449/21), wie auch das Arbeitsgericht Hagen in erster Instanz, wies die Klage ab. §623 BGB sei nicht im Wege richtlinienbezogener Auslegung oder Rechtsfortbildung dahin zu verstehen, dass eine Kündigung, die keine Information über die dreiwöchige Klagefrist aus § 4 KSchG enthält, nicht im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Arbeitsbedingungen-Richtlinie stehe und deshalb nicht der gesetzlichen Schriftform entspräche.
Richtlinien würden keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatrechtssubjekten entfalten, sondern verpflichten lediglich die Mitgliedsstaaten, den Inhalt der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Sofern dies nach Ablauf der vorgesehenen Umsetzungsfrist nicht erfolgt sei, wären die Gerichte verpflichtet, das nationale Rechts richtlinienkonform auszulegen. Im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen-Richtlinie ist die Umsetzungsfrist aber noch nicht abgelaufen. Dies sei erst am 1. August 2022 der Fall, also nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung.
Nationale Gerichte können zwar verpflichtet sein, bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist die nationalen Gesetze gemeinschaftsfreundlich auszulegen; dies sei aber nicht zwingend und vorliegend nicht geboten. Die von der Klägerin gewünschte richtlinienbezogene Umgestaltung des § 623 BGB im Sinne einer Formunwirksamkeit der angegriffenen Kündigung wäre als unzulässige Rechtsfortbildung anzusehen. Aus dem Inhalt der Arbeitsbedingungen-Richtlinie folge nicht zwingend, dass der Arbeitgeber entweder im Zusammenhang mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages oder bei Ausspruch der Kündigung auf die dreiwöchige Klagefrist hinweisen müsse und dass ein unterlassener Hinweis zur Formunwirksamkeit einer Kündigung führe. Es bliebe den Mitgliedsstaaten überlassen, welche Sanktionen sie bei Verstößen des Arbeitgebers gegen die ihn treffenden Informationspflichten vorsehen.
Praxishinweis
Das LAG sah keine Veranlassung dafür, das nationale Recht richtlinienbezogen auszulegen bzw. umzugestalten.
Am 1. August 2022 trat das Nachweisgesetz (NachwG) in Kraft – die nationale Umsetzung der Arbeitsbedingungen-Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber. Das Gesetz schafft nun eindeutige Klarheit in Bezug auf die in dem dargestellten Verfahren streitgegenständliche Frage. Nach §2 Abs. 1 Nr.14 NachwG hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zwar schriftlich, beispielsweise im Arbeitsvertrag, auf das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage hinzuweisen. Es wird jedoch auch explizit geregelt, dass die Wirksamkeitsfiktion der Kündigung nach §7 KSchG nicht von einem solchen Hinweis abhängt.
Entsprechende Hinweise – sowie sonstige Hinweispflichten nach dem NachwG – sollten in Neuarbeitsverträge ab dem 1. August 2022 mit aufgenommen sein. Andernfalls drohen ggf. Bußgelder. Die Unwirksamkeit einer Kündigung kann jedoch nicht aus der Verletzung der Hinweispflicht resultieren.
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