Kündigung eines Betriebsrats: Missbrauch der Freistellung für private Zwecke
Sachverhalt
Die Arbeitgeberin streitet mit dem Betriebsrat und dem von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellten Betriebsratsvorsitzenden (dem „Vorsitzenden“) über die Ersetzung einer Zustimmung des Betriebsrates zu einer außerordentlichen Kündigung des Vorsitzenden. Die außerordentliche Kündigung stützte die Arbeitgeberin auf folgende Ereignisse im Jahr 2022:
Der Vorsitzende sowie drei weitere Mitglieder des Betriebsrates reisten vom 8. bis 11. November zum Betriebsrätetag in B, um dort „Betriebsratsarbeit“ zu leisten. Die Arbeitgeberin sagte im Vorhinein die Kostenübernahme und Freistellung des Vorsitzenden unter Fortzahlung des Entgelts für alle Veranstaltungen im Rahmen des Betriebsrätetags zu. Dieser umfasste einerseits Präsenzveranstaltungen in B und andererseits auch digitale Schulungsveranstaltungen. Die Zeiterfassung bei der Arbeitgeberin erfolgt grundsätzlich elektronisch. Im Falle von Betriebsratsarbeit außerhalb des Betriebs der Arbeitgeberin werden üblicherweise für den entsprechenden Zeitraum täglich acht Stunden als sog. „Dienstgang“ in das System eingebucht, weil ein elektronisches Einstempeln von außerhalb nicht möglich ist und auf diese Weise verhindert wird, dass zunächst eine Fehlzeit entsteht. Werden im Nachgang keine anderen Zeiten gemeldet, bleibt es bei dieser Einbuchung. Am 8. November nahmen der Vorsitzende und die weiteren Betriebsratsmitglieder an diversen Veranstaltungen in B teil. Am 9. November nahm der Vorsitzende weder an Präsenz- noch an digitalen Veranstaltungen teil. Vielmehr reiste er in die Stadt K, um dort seine geschiedene Ehefrau zu treffen und erst am darauffolgenden Morgen des 10. November wieder nach B zu reisen. Dort angekommen besuchte der Vorsitzende den Betriebsrätetag nicht noch einmal, sondern begab sich nach seiner Ankunft am Hotel in B wieder mit den übrigen Mitgliedern des Betriebsrates auf die Heimreise.
Im Rahmen der Aufforderung an den Vorsitzenden zum Arbeitszeitnachweis für den Zeitraum des Betriebsrätetages gab dieser am 21. November an, er habe am 9. November von 13:00 bis 16:00 Uhr sowie von 19:00 bis 22:00 Uhr und am Folgetag nach der Rückkehr von 19:00 bis 23:00 Uhr Betriebsratsarbeit geleistet. Diese sei unter anderem erfolgt, indem er sich mit seiner geschiedenen Ehefrau in K über die Betriebsratsaufgaben ausgetauscht habe und in einem Café Recherchen für die Betriebsratsarbeit durchgeführt habe. Auf den Verdacht der Arbeitgeberin, der Vorsitzende könnte einen Arbeitszeitbetrug begangen haben, da die übrigen Mitglieder der Arbeitgeberin über das Fernbleiben des Vorsitzenden berichtet hatten, entgegnete der Vorsitzende am 23. November in einer schriftlichen Stellungnahme, er habe zu den von ihm angegebenen Zeiten Betriebsratsarbeit geleistet. Ein Arbeitszeitbetrug sei aufgrund der Vollfreistellung für Betriebsratsarbeit rechtlich unmöglich.
Die am 24. November beantragte Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Vorsitzenden verweigerte der Betriebsrat. Die Arbeitgeberin stützte ihre außerordentliche Kündigung darauf, dass der Vorsitzende weder am 9. noch am 10. November am Betriebsrätetag teilgenommen, sondern stattdessen Cafés und seine geschiedene Ehefrau in K. besucht habe. Er habe daher in der im Arbeitszeitnachweis angegebenen Zeiten keine Betriebsratsarbeit, damit keine Arbeit, geleistet und es bestehe der dringende Verdacht des Arbeitszeitbetruges.
Mit der Klage beim Arbeitsgericht Lüneburg (ArbG) verfolgte die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Vorsitzenden. Das ArbG gab dem Antrag statt. Die Beschwerde des Vorsitzenden weist das LAG Niedersachsen mit Beschluss vom 28. Februar 2024 (13 TaBV 40/23) zurück.
Beschluss des LAG
Das LAG hatte zu prüfen, ob die außerordentliche Kündigung des Vorsitzenden gerechtfertigt war. Dies erfordert einerseits, dass rein abstrakt der herangezogene Sachverhalt zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung ausreicht. Im Falle der verhaltensbedingten Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes, muss dessen Verhalten zudem eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag darstellen und darf nicht lediglich eine Verletzung der Pflichten als Betriebsratsmitglied betreffen. Ein schuldhafter Verstoß gegen die sich aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag ergebende Verpflichtung, die täglich geleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Diese arbeitsvertragliche Pflicht hat der Vorsitzende nach Auffassung des LAG verletzt. Ein freigestelltes Betriebsratsmitglied dürfe grundsätzlich nur Zeiten als Arbeitszeit erfassen, in denen es erforderliche Betriebsratstätigkeit verrichte oder sich für solche bereithalte. Die Kammer ließ es dahinstehen, ob die durch den Vorsitzenden für den 9. November behaupte Tätigkeit in Form eines Austausches mit seiner geschiedenen Frau zu Betriebsratsthemen überhaupt eine Betriebsratstätigkeit darstelle. Jedenfalls handelte es sich aus Sicht eines sorgfältig prüfenden Dritten bei diesen nicht um erforderliche Tätigkeiten. Zwar steht dem Betriebsrat sowie den Mitgliedern selbst bei der Einschätzung der Erforderlichkeit der Arbeit ein Beurteilungsspielraum zu, dieser sei im vorliegenden Fall jedoch stark eingeschränkt. Denn mit der Entscheidung zur Entsendung zu einer bestimmten Bildungsveranstaltung nach § 37 BetrVG, für welche die Arbeitgeberin die Kosten übernimmt, hat der Betriebsrat die durch den Vorsitzenden auszuübende Betriebsratsarbeit auf eine bestimmte Tätigkeit konkretisiert. Die Teilnahme an dem Betriebsrätetag hatte für ihn damit aufgrund dieser Konkretisierung Vorrang vor jeder anderen Art von Betriebsratsarbeit.
Nach der Beweisaufnahme kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass die Angaben durch den Vorsitzenden in dem Arbeitszeitnachweis auch im Wissen der Nichterforderlichkeit der alternativen Tätigkeiten und damit vorsätzlich geschahen.
Wegen einer derart schweren Pflichtverletzung kam das LAG anschließend in der vorzunehmenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung auch ohne eine vorausgehende Abmahnung gerechtfertigt sei. Ins Gewicht falle, dass der Vorsitzende nach dem Ende des Betriebsrätetages nicht nur keine Korrektur der in das Zeiterfassungssystem regelmäßig eingebuchten acht Stunden beantragt hatte, sondern zudem im Nachgang bewusst falsche Angaben im Rahmen der Arbeitszeiterfassung machte. Dies zeugt nach Auffassung der Richter von erheblicher Rücksichtslosigkeit gegenüber der Arbeitgeberin sowie Eigennützigkeit.
Praxishinweis
Die zu begrüßende Entscheidung des LAG setzt dem Beurteilungsspielraum der Betriebsratsmitglieder bei der Frage, ob die konkrete Betriebsratsarbeit erforderlich ist, klare Grenzen: Ist dem Betriebsratsmitglied eine konkrete Aufgabe durch den Betriebsrat auferlegt worden, hier der Besuch des Betriebsrätetages in B, kann nur diese konkrete Tätigkeit für die in Rede stehende Dauer erforderliche Betriebsratsarbeit sein und an die Stelle der üblichen Arbeitszeit treten. § 38 Abs. 1 BetrVG gewährt dem einzelnen Betriebsratsmitglied mithin keine unbegrenzte Freiheit bzgl. der Betriebsratsarbeit.
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